Seite:Maehrchenkranz fuer Kinder 040.jpg

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Da ging die Mutter wieder zu demselben Manne, der machte ihr ein anderes Schäfchen, so groß als die Schaafe gewöhnlich sind, und bedeckte es ganz mit weißer Wolle, in die waren Silberflittern gewoben. Die Mutter aber brachte ihrem Töchterchen dies Schäfchen, und sagte: „Da hat mir der Mann ein anderes Schäfchen gebracht, das wird wohl ein Himmelsschäfchen seyn; sieh, wie es groß ist, und welch schöne Wolle es hat!“

Aber das Kind weinte, und sagte: „Das ist kein Himmelsschäfchen. Die Himmelsschäfchen haben durchsichtige Wolle; gieb mir ein Himmelsschäfchen, oder ich sterbe!“

Da ward die gute Mutter sehr betrübt, denn ihr Kindchen wurde kränker und kränker, und sie wußte nicht, wie sie ein Himmelsschäfchen bekommen sollte. Da setzte sie sich des Nachts in das Kämmerlein, wo ihr Töchterchen krank lag, und weinte vor Sehnsucht und Bekümmerniß, und vergoß heiße Thränen.

Als sie aber so traurig vor sich hinsah auf den dunkeln Boden, da kam es ihr vor, als thäte sich die Wand auf, und sie sah hinaus an den weiten, weiten Himmel, und in der Ferne gewahrte sie eine weibliche Gestalt, die trug ein silberweißes Lämmchen auf ihrem Arm, und schwebte, auf Wolken getragen, zu ihr her. Da füllte sich aber das Kämmerlein mit wundersamen Glanze, und die Wände, die vorher dunkel waren, glänzten jetzt, wie das sanfte Licht der Morgenröthe. Die königliche Frau aber stellte das Schäfchen in das kleine Blumengärtchen, das vor dem Fenster war, und sprach: „Ich habe Mitleid gehabt mit deinem Kummer, und habe deinem Töchterlein ein Himmelsschäfchen gebracht.“

Da wachte das Kind in seinem Bettchen auf, und sah die königliche Frau, und das Himmelsschäfchen, das ging im Blumengarten auf und ab. Da ward ihm ganz wohl.