Seite:Maehrchenkranz fuer Kinder 094.jpg

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einander recht lieb, und lebten in Friede und Eintracht beisammen, und arbeiteten fleißig, so daß es ihnen nie an dem nöthigen Unterhalt fehlte. Die Brüder setzten das Gewerbe des Vaters fort, und banden Besen, und die Schwester mußte sie nach der Stadt tragen und verkaufen, und aus dem Erlös den kleinen Haushalt besorgen.

Zuweilen wollten die Einnahmen nicht ausreichen, um die nothwendigsten Ausgaben davon zu bestreiten; dann aber sprach der zweite Bruder, der ein sehr heiterer und munterer Bursche war, den beiden Geschwistern Muth zu, und sagte scherzend: „Hört, Besenbinder Kinder verderben nicht, sagt das Sprichwort, und so werden auch wir nicht verderben. Geht es auch mitunter etwas knapp her, so daß wir zuweilen uns etwas einschränken müssen, der liebe Gott hilft uns immer wieder durch. Auf den wollen wir uns verlassen, vielleicht daß er uns einmal noch recht reich werden läßt; Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden!“

Eines Tages waren sie wieder im Walde, um Besenreiser zu holen. Der jüngere Bruder stieg auf einen Baum, um Aeste abzuhauen, die der ältere dann unten zusammenlas, und die tauglichsten Reiser herausschnitt. Als er nun oben im Baume arbeitete, sah er ganz unvermuthet ein dunkelfarbiges, ihm völlig unbekanntes Vögelchen auf einem Neste sitzen, das sehr zahm zu seyn schien: denn es flog nicht weg, als er sich ihm näherte, sondern sah ihn mit seinen hellen Augen recht freundlich an.

„Ei!“ sagte der jüngere Bruder, „du bist ja ein Vögelchen von ganz eigener Art; wer mag dich wohl so zahm gemacht haben, daß du dich gar nicht fürchtest, und ruhig auf deinem Neste sitzen bleibst? es ist ja, als wenn du mich kenntest, und als ob du schon wüßtest, daß ich dir nichts thun werde.“ Er streckte seine Hand nach ihm und streichelte