Seite:Maehrchenkranz fuer Kinder 140.jpg

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wenn sie vor denselben trat, ehe Schneewittchen heranwuchs, und fragte:

Spiegel, Spiegel an der Wand,
Wer ist die Schönst’ im ganzen Land?

so hatte jedes Mal der Spiegel geantwortet:

Ihr seyd die Schönst’ im ganzen Land.

Jetzt aber, als Schneewittchen größer wurde, war es anders, und wenn die Königinn den Spiegel fragte:

Spiegel, Spiegel an der Wand,
Wer ist die Schönst’ im ganzen Land?

so antwortete der Spiegel:

Sonst wart Ihr die Schönste hier,
Jetzt ist Schneewittchen tausendmal schöner, als Ihr!

Da die Königinn den Spiegel also sprechen hörte, ward sie blaß vor Neid, und von Stund’ an haßte sie Schneewittchen, und wenn sie dieselbe ansah und gedachte, daß sie durch deren Schuld nicht mehr die Schönste in der Welt heißen sollte, so kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum. Da ließ ihr der Neid keine Ruhe; sie rief einen Jäger, und sagte zu ihm: „Führe Schneewittchen hinaus in den Wald an einen weit abgelegenen Ort, da stich sie todt, und bringe mir zum Zeichen, daß du meinen Befehl gehörig vollbracht hast, des Mädchens Herz und Leber mit.“

Da nahm der Jäger Schneewittchen, und führte sie tief hinein in den Wald; als er aber den Hirschfänger gezogen, und eben zustechen wollte, da fiel sie auf die Knie, und weinte und bat, er möchte sie leben lassen, sie wollte auch nimmermehr zurückkommen, sondern in dem Walde fortlaufen.

Den Jäger jammerte ihrer, weil sie so schön war, und er gedachte: Die wilden Thiere werden sie doch bald fressen; ich bin froh, daß ich sie nicht zu tödten brauche! Und da gerade ein junger Frischling gelaufen kam, stach er den nieder, nahm Herz und Leber heraus, und brachte sie der Königinn