Seite:Maehrchenkranz fuer Kinder 176.jpg

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Mit Erschrecken hatten Alle den unheilvollen Ausspruch der bösen Fee vernommen, und der König und die Königinn fingen laut an zu weinen und zu klagen. „Beruhigt Euch,“ sagte eine junge Fee, die dem Kinde noch nichts zum Angebinde geschenkt hatte, weil sie die böse Absicht der erzürnten Alten gemerkt hatte; „beruhigt Euch! Euer Töchterchen wird nicht sterben. Zwar kann ich das Geschick, welches die Alte hier über die Kleine verhangen hat, nicht ganz abwenden, und Euer Kind wird sich mit einer Spindel verwunden, aber anstatt davon zu sterben, wird sie nur in einen tiefen Schlaf fallen, der hundert Jahre dauern, und aus dem sie ein Königssohn erwecken wird.“

Um das Unglück, welches seinem Kinde prophezeiet war, so viel als möglich zu verhindern, ließ der König bekannt machen, daß bei Lebensstrafe niemand weder mehr mit einer Spindel spinnen, noch überhaupt ein solch gefährlich Ding in seinem Hause halten sollte. Aber was half alle Vorsicht!

Als die Prinzessinn funfzehn Jahr alt war, geschah es, daß ihre Aeltern mit ihr auf eines ihrer Lustschlösser reisten. Während nun hier die Aeltern eines Tages im Garten lustwandelten, ging die Prinzessinn im Schlosse umher, und da sie vor langer Weile nicht wußte, was sie vornehmen sollte, so lief sie von einem Zimmer in’s andere, und kam endlich auch an einen Thurm, den sie von Innen besehen wollte. Sie ging also hinein, stieg eine Treppe hinauf, und wieder eine, und dann noch eine, und kam nun zu einer kleinen Thüre, die sie mit dem darin steckenden Schlüssel öffnete. Da trat sie in eine kleine Stube, in welcher ein altes Mütterchen, die niemals etwas von dem Befehle des Königs, nicht mehr mit einer Spindel zu spinnen, gehört hatte, am Rocken saß, und emsig spann. Das hatte sie noch nie gesehen; darum gab sie recht Acht, und sagte: „Ob ich’s denn auch wohl könnte?“ – „Ja, liebes Prinzeßchen,“