Seite:Maehrchenkranz fuer Kinder 180.jpg

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Zitternd und bewundernd nahete er sich ihr, ließ sich auf ein Knie nieder, und sagte: „Ach, bist du so hold, so gut, als du schlafend aussiehst, so solltest du meinem Herzen recht werth seyn, wärest du auch so wunderschön nicht!“

Es war, als flüsterte es ihm zu: „Küsse leise und zart ihre holdseligen Lippen!“ Da beugte er sich nieder, und berührte ihre Lippen leise und sanft; in demselben Augenblick erwachte auch Dornröschen, und sahe ihn gar freundlich an, und sagte: „Seyd mir willkommen als mein Befreier, schon lange erwartete ich Euch mit Sehnsucht.“

Mit dem Erwachen der Prinzessinn waren auch alle übrigen im Schlosse erwacht, und jeder that nun wieder, was seines Amtes war. Alles war Liebe und Friede und Freundlichkeit, und der Prinz und Dornröschen, welche für einander bestimmt waren, begaben sich in das Schloß des Königs, der ihnen sehr gern seinen väterlichen Segen zu ihrer Verheirathung ertheilte.

Der Prinz lebte mit seiner jungen schönen Gemahlinn in großer Eintracht und Freude, und ihr Glück wurde um Vieles noch vermehrt, als der Himmel ihnen schon im ersten Jahre ihrer Ehe eine Tochter schenkte, die sie Aurora nannten, und im folgenden Jahre auch einen Sohn, den sie Tag hießen, weil er noch viel schöner war, als seine Schwester. Die Aeltern liebten diese beiden Kinder auf das zärtlichste, und hüteten sie, wie ihren Augapfel. Und das war auch sehr nöthig, denn die Königinn stammte aus einer Popanzen-Familie, und man wollte bemerkt haben, daß sie schon oftmals ein großes Gelüste nach Menschenfleisch gehabt hätte. Sie war aber ungeheuer reich, und nur deshalb hatte sie der König geheirathet.

Nun geschah es, daß nach einigen Jahren der König starb, und der Prinz den väterlichen Thron bestieg. Bald darauf aber wurde er in einen Krieg mit einem benachbarten