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gebildeten Griechentum auftretende Überhebung des Besitzes über die Besitzlosen, über die manuelle Arbeit, die das Bürgertum bei seinem Ruf nach politischer Freiheit für das Volk gar nicht daran denken ließ, daß das Volk auch noch andere Kreise umfaßt als die seinigen, und daß es diesen etwa einfallen könnte, seine Parole ernst zu nehmen. Das Volk — das war die Bourgeoisie. Die Masse des Proletariats, dieser weitaus größte Teil des Volkes, das waren nichts weiter als — Arbeiter, nicht viel mehr als den Griechen die Sklaven, die nicht mitzählten in der Bürgerschaft.

Freilich, als es zum Kampfe kam mit den alten Gewalten, da wurde es anders mit dieser stolzen, verächtlichen Haltung des Bürgertums. „Die Arbeiter werden kommen!“ so hieß es in Paris, in Wien, in Berlin, und dieser Ruf hatte schon damals seine elektrisierende Wirkung. Schon damals fühlte ein jeder, daß die Sache, zu der die Arbeiter hielten, eine wahre Volkssache und Sache der Freiheit sei, schon damals war der Anschluß der Arbeiter bei ihrem Mut, bei ihrer Tatkraft und Opferfreudigkeit, bei ihrer hinreißenden Begeisterungsfähigkeit eine Gewähr des Sieges, eine moralische Stärkung allerersten Ranges. Die arme, gedrückte und unwissende Klasse der Arbeiter, sie, die in gräßlichster Verelendung fern von allen Gütern der Kultur gehalten wurde, ein Gegenstand der Verachtung oder bestenfalls der Herablassung — sie war in ihren vergleichsweise aufgeklärtesten und bestsituierten Schichten schon damals das Gewissen der bürgerlichen Klasse.

Und die Arbeiter kamen.

Vertrauensvoll schlossen sie sich den Fahnen des Bürgertums an, die sie für Freiheitsfahnen hielten; und sie harrten bei der Sache der Freiheit aus, bis sie die Gewalt zu Boden streckte.

Es kann ja nicht geleugnet werden, daß der Ausbruch der Revolution, namentlich hier in Wien, zu ausgedehnten Exzessen und Ausschreitungen der Arbeiterschaft führte. Aber man vergesse auch nicht die erschreckende Unwissenheit, in einer Zeit, wo selbst das Bürgertum durch die Zensur und das Polizeiregiment geknebelt war, in welcher diese von jeder Bildungsmöglichkeit ausgeschlossene Masse des Proletariats dahinvegetierte; dazu das gräßliche Elend, von dem bald hier, bald dort ausbrechende Hungerrevolten entsetzliche Kunde gaben. Nichtsdestoweniger — und hierin dürfen wir uns auf übereinstimmende Berichte sonst sehr auseinandergehender Geschichtsschreiber des Jahres 1848 stützen — nichtsdestoweniger waren auch diese Pöbelexzesse nicht eigentlich

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Max Adler: 1848. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1905, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Adler_-_1848_09.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2018)