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Ihr Toten des März, ihr mußtet fallen; aber indem ihr fielet, vernahm euer erlahmendes Ohr noch den Zornesruf der Menge, euer brechendes Auge sah noch in den entsetzten Mienen aufblitzen den Mut und die grimme Entschlossenheit zugleich mit der Empörung ob dieses namenlosen Frevels, — in eurer Seele stand noch das große, beglückende Erlebnis des Tages in seiner ganzen ungetrübten Schönheit. Und wie die Kugeln fürchterlich aufschlugen auf eure wehrlosen Leiber, da mag es euch ebenso jäh durchzuckt haben mit seiner ganzen erlösenden und versöhnenden Kraft: Aus unserem versprengten Blut ersteht heute die neue Zeit, aus unserem versiegenden Leben steigt glorreich herauf ein sonniges glücklicheres Leben für ungezählte Menschenkinder! ...

Es war kein Tod mehr so schön im ganzen Jahre 1848, das noch so viele Opfer kosten sollte. Vielmehr ein bitteres Sterben war es für alle jene, die später fallen mußten, deren Herz schon bei Lebzeiten gebrochen war über so viel getäuschte Hoffnungen, und deren Grab nun mit ihnen zugleich aufnahm die zertrümmerte Hoffnung eines ganzen Volkes, deren alleiniger Trost ein letzter, finsterer Gedanke:

Exoriare aliquis ultor ex ossibus nostris![1]

Und der Rächer ist euch schon erstanden, ihr Toten — anders freilich, als ihr selbst es gedacht haben möget, anders als auch viele nach euch es geglaubt haben mögen, die ein neues, schrecklicheres Blutvergießen für nötig hielten, euch zu rächen. Es ist anders gekommen. Nicht die Gewalt hat das Rächeramt übernommen, nicht selbstmörderischer Umsturz arbeitet an einer Sühne für euer Blut. Die perennierende Revolution der Produktionsverhältnisse und damit der Köpfe, die unaufhaltsam in ihrem Gefolge sich ausbreitende Aufklärung und Erkenntnis derselben Volksmasse, aus der euch der Tod riß, die zielbewußte, alle Handhaben des Gesetzes zäh ausnützende und deshalb unangreifbare Arbeit an der Umwandlung der bestehenden Gesellschaftsordnung in eine vernünftigere und vollkommenere Form, — das ist die Sühne, die euren Massen täglich und stündlich dargebracht wird, — das Proletariat der ganzen Welt, von diesem Geiste immer mehr beseelt, ist eure Rächerin.

Darum ist auch der Gedenktag der Revolution von 1848 ein Tag der Feier geworden, die das Proletariat überall begeht, nicht nur in dankbarer Pietät und in treuem Gedenken, sondern zugleich auch als einen Merktag der eigenen Kraft und eigenen Aufgabe. Wenn das

  1. Aus unseren Gebeinen wird der Rächer erstehen.
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Max Adler: 1848. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Wien 1905, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Adler_-_1848_22.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2018)