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funktionieren — nach sozialdemokratischen Nachrichten 10 Prozent der Friedensproduktion — das Akkordlohnsystem wieder einzuführen, mit der Begründung: sonst leide die Leistung. Sie lassen die Unternehmer an der Spitze der Betriebe — weil sie allein die Sachkunde besitzen — und zahlen ihnen sehr erhebliche Subventionen. Sie sind ferner dazu übergegangen, wieder Offiziersgehälter an Offiziere aus dem alten Regime zu zahlen, weil sie ein Heer brauchen und gesehen haben: ohne geschulte Offiziere geht das nicht. Ob diese Offiziere, wenn sie einmal die Mannschaft wieder in der Hand haben, sich dauernd die Leitung durch diese Intellektuellen werden gefallen lassen, scheint mir fraglich; im Augenblicke haben sie das freilich tun müssen. Und schließlich haben sie durch den Entzug der Brotkarte auch einen Teil der Bürokratie gezwungen, für sie zu arbeiten. Aber auf die Dauer läßt sich in dieser Art eine Staatsmaschinerie und Wirtschaft nicht leiten und sehr ermutigend ist das Experiment bisher nicht.

Das Erstaunliche ist lediglich, daß diese Organisation überhaupt so lange funktioniert. Sie kann dies deshalb, weil sie eine Militärdiktatur, zwar nicht der Generäle, aber der Korporäle ist und weil die kriegsmüden, aus der Front zurückkehrenden Soldaten mit den landhungrigen, an Agrarkommunismus gewöhnten Bauern zusammen gingen — oder die Soldaten mit ihren Waffen sich in gewaltsamen Besitz der Dörfer setzten und dort Kontribution erhoben und jeden niederschossen, der ihnen zu nahe kam. Es ist das einzige ganz große Experiment einer „Diktatur des Proletariats“, das bisher gemacht wurde, und man kann mit voller Aufrichtigkeit versichern: Die Auseinandersetzungen in Brest-Litowsk wurden von deutscher Seite in loyalster Weise geführt, in der Hoffnung, wir bekämen mit diesen Leuten einen wirklichen Frieden. Das geschah aus verschiedenen Gründen: diejenigen, die als Interessenten auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft standen, waren deshalb dafür, weil sie sich sagten: laßt ums Himmelswillen die Leute ihr Experiment machen, es wird sicher ins Wasser fallen und dann ist es ein abschreckendes Exempel; wir anderen deshalb, weil wir sagten: wenn dieses Experiment gelänge und wir sehen sollten, daß auf diesem Boden Kultur möglich ist, dann — wären wir bekehrt.

Derjenige, der das verhindert hat, war Herr Trotzkij, der sich nicht damit begnügen wollte, im eigenen Hause dieses Experiment

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Max Weber: Der Sozialismus, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Weber_-_Der_Sozialismus_Seite_30.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)