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reaktionären Folgen, die sie haben müßte. Auch das darf kein Sozialist loyalerweise leugnen.

Das Zweite ist das Verhältnis zum Frieden. Wir wissen alle, daß sich heute der radikale Sozialismus bei den Massen mit pazifistischen Neigungen, mit dem Wunsche verquickt: daß schleunigst Friede geschlossen werde. Nun steht aber fest und ein jeder Führer der radikalen, also der wirklich revolutionären Sozialdemokratie wird es, wenn gefragt, ehrlich zugeben müssen: Der Friede ist ihm, dem Führer, nicht das Entscheidende, worauf es ihm ankommt. Wenn wir die Wahl haben — wird er, wenn er rückhaltlos offen ist, sagen müssen — zwischen einem noch drei Jahre dauernden Kriege und dann der Revolution einerseits und sofortigem Frieden ohne Revolution anderseits, dann sind wir natürlich für die drei Jahre Krieg. Mag er das mit seinem Glaubenseifer und seinem Gewissen ausmachen. Die Frage ist doch, ob die Mehrzahl der Truppen, die draußen im Felde zu stehen haben, auch die sozialistischen, der gleichen Meinung sind wie diese Führer, die ihnen etwas derartiges diktieren. Und es ist selbstverständlich durchaus loyal und nur in der Ordnung, wenn man sie zwingt, Farbe zu bekennen. Fest steht und zugegeben ist, daß Trotzkij den Frieden nicht gewollt hat. Das bestreitet heute kein mir bekannter Sozialist mehr. Aber das gleiche gilt auch für die radikalen Führer aller Länder. Vor die Wahl gestellt, würden auch sie nicht vor allem den Frieden wollen, sondern, wenn er der Revolution, das heißt: dem Bürgerkrieg, zugute käme, den Krieg. Den Krieg im Interesse der Revolution, obwohl diese Revolution nach ihrer eigenen Meinung — ich wiederhole das — zur sozialistischen Gesellschaft nicht führen kann, sondern höchstens — das ist die einzige Hoffnung — zu einer vom sozialistischen Standpunkt „höheren“ Entwicklungsform der bürgerlichen Gesellschaft, die also der künftig irgendwann einmal eintretenden sozialistischen Gesellschaft um etwas näher steht — um wieviel, läßt sich gar nicht sagen — als die heutige. Gerade diese Hoffnung freilich ist aus dem angegebenen Grunde äußerst zweifelhaft. —

Eine Auseinandersetzung mit überzeugten Sozialisten und Revolutionären ist immer eine mißliche Sache. Man überzeugt sie nach meiner Erfahrung nie. Man kann nur die Leute nötigen, vor ihren eigenen Anhängern Farbe zu bekennen, einerseits zur Frage

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Max Weber: Der Sozialismus, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Weber_-_Der_Sozialismus_Seite_33.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)