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dort aus einer Spalte ein dickes Tau hervor, das oben irgendwo befestigt war.

„He – werden noch klettern können?“ brüllte er voller Verständnis für meine gänzliche Erschöpfung.

Ich schüttelte den Kopf.

„Gut – emporziehen … Coy klettern,“ sagte er zu mir.

Weiß Gott, Coys Muskulatur war beneidenswert.

Das dicke Seil stammte fraglos von einem gestrandeten Schiff, war tadellos geölt und in Abständen von drei Meter mit später eingeflochtenen Lederschlaufen versehen, die jedem Klettrer ein Ausruhen ermöglichten. Coy turnte mit seinen Satteltaschen und seinem umgehängten Karabiner spielend leicht empor. Müdigkeit kannte er nicht. Nerven erst recht nicht. Wenn wir mal von einem längeren Jagdausflug zurückgekehrt waren, hatte er sogar im Sattel geschlafen. Er verstand es eben, jeden Zeitpunkt rechtzeitig auszunutzen und Geist und Körper, wenn die Gelegenheit da war, vollständig zu entspannen. Aus diesem seinem Kraftakkumulator – besser kann ich’s nicht bezeichnen – schöpfte er dann bei anderen Gelegenheiten den nie ermüdenden Strom von Energie, – eine Kunst, die den Kulturmenschen in den seltensten Fällen eigen ist. Es ist dies in der Tat eine Kunst, die ja besonders bei den orientalischen Völkern von jeher bis zur äußersten Grenze vervollkommnet wurde. Man denke nur an den scheinbaren Zustand tiefsten Insichversunkenseins indischer Fakire: nichts anderes als Entspannung, nichts anderes als das Ausschalten jeglicher äußerer Eindrücke und dadurch innere Krafterneuerung.

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Max Schraut: Mein Freund Coy. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1929, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mein_Freund_Coy.pdf/150&oldid=- (Version vom 1.8.2018)