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Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/206

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sind den östlichen Kulturen und ihren Religionen verlaufen. Nur durch das Christenthum röthet sich ein neuer Tag hinter der verhüllten Nacht. Nicht mehr soll die Offenbarung Gottes den dortigen Völkern vorenthalten bleiben, oder verschleiert seyn durch unverständlich gewordene Symbole: eine Saat neuer Erkenntniß soll von oben herab auf die umbrochene Erde fallen. Christus soll unter die Völker des Ostens niedersteigen, er soll gleichsam wiederkehren in die Heimath, von der er ausgegangen, und mit ihm und durch ihn das neue höhere Leben des Orients beginnen. Das Unendliche wird dort auch die Verhältnisse des Endlichen wieder ordnen, die gestörte Harmonie wieder herstellen. Auf dem Grunde, den Gott in die Vesten der menschlichen Natur gelegt hat vom Aufgang bis zum Niedergang, auf diesem Fundament wird sich im Orient die Kirche des Evangeliums erheben und aus ihr das neue Leben erwachsen für die scheintodten asiatischen Nationen. Jahrhunderte mögen darüber verstreichen; aber daß solches geschehen wird, dafür bürgt die Macht, die der Kraft über die Schwäche, dem Lebendigen über das Todte gegeben ist. Es ist gewißlich wahr: die Zukunft des Ostens sproßt aus dem Stamme des Kreuzes.


Von den Ruinen Asiens wende ich den Blick nach Westen. Wie es da braust, wie die Wogen rollen auf dem Menschenmeere, wie es da die Ufer schlägt mit gewaltiger Brandung! Alle Völker sind ergriffen von einer tiefen Gährung im Geisterreiche, und obschon die Fahne des Friedens über die Länder flattert, sehe ich überall den Kampf und Stoß von Gegensätzen und die großen Elemente von Staat und Kirche mit einander im Streit begriffen. Immer mehr Kräfte werden in den Kampf gezogen, und so gewaltig die Aufregung geworden ist, so will doch die Entscheidung nicht nahe scheinen.

Ja, in einer Umwandlung ist auch der Westen begriffen, nur mit dem Unterschiede, daß, während sie der Osten von Außen leidend empfängt, sie sich in Europa selbstständig in dem freien Spiel seiner geistigen, eigenen Kräfte entwickelt. Drei große Gegensätze sind es, die in diesem Kampfspiel vorzüglich thätig werden: die Neigung zur Vergangenheit, oder die Restauration; das Streben, das Bestehende, als rechtlich begründet und angenommen, zu erhalten, die Autorität; und der Neuerungstrieb, der Trieb zu Reform und Fortschritt. Jeder dieser Gegensätze agirt in den gesellschaftlichen Fragen bejahend oder verneinend, und ihr Widerspruch eben ist es, weicher das innere Leben rüstig und wach erhält. Ehedem hielt ein viertes, stärkeres Element den Antagonismus dieser drei gefesselt; so lange nämlich der Glaube seine Banden um sie schlug, war ihrem Widerspruch wenig Raum gegeben. Aber die Kritik hat sie ihnen abgeschlagen, und die Umwandlung von Kirche und Staat im Abendlande ist nun nicht mehr zu vermeiden.

Das scharfe Scheiden und Trennen der Nationalitäten von einander und das Auftreten von Parteiungen im Schooße derselben ist eine Erscheinung, die aus dem Zwiespalte der Prinzipien nothwendig hervorgeht. In