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Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/46

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CCCCXXX. Schnepfenthal am Thüringer Walde.




In geheimnisvoller Ordnung bewegt sich das unermeßliche Heer der Gestirne durch die grenzenlosen Räume des Weltalls, eine unsichtbare Macht leitet ihre irrenden Schritte, und in ewig fortstürmendem Fluge wandeln sie neben einander hin in der pfadlosen Wüste und berühren sich nie auf ihren ewigen Zügen. Eine einzige Hülle, undenkbar groß und ohne Grenzen, umfaßt sie alle. In des Aethers unergründlichen Tiefen schweifen sie umher, beleuchten sich friedlich die dunkeln Pfade und begleiten einander schweigend mit unendlicher Liebe. Sie möchten einander berühren: aber – „wallet einsam, ihr Bewohner meiner Himmel!“. – war der Spruch des Schöpfers, und das Gesetz hält die Nahenden aus einander.

Anders sprach er zu den Menschen: „Gesellt euch, liebt einander und wirkt für einander auf meiner Erde!“ – Und dem Gebote gehorcht das Geschlecht. Verwandtes fügt es in Liebe zusammen, es kettet die Geister mit unsichtbaren Banden und herrscht mit stillem Walten über die Herzen.

„Liebt Euch und wirkt für einander!“ In der rechten Ausübung dieses Gebots liegt der Zweck aller Menschenerziehung. Die wahre Pädagogik wird nie etwas anderes mit dem Menschen wollen, als Kräftigung seines Willens und seiner Fähigkeit zur Erfüllung dieses Gesetzes – und jede Bestrebung der Erziehung, die nicht in ihm, wie in einem Mittelpunkte, zusammenfließt, entfernt sich von ihrem würdigsten Ziele. Wie jenes Gesetz ewig und unveränderlich ist, ist daher auch die Pädagogik in ihrer Grundlage unwandelbar.

Aber die Formen der Erziehungskunst sind mannichfaltig. Jeder Erzieher kann einen eigenen Weg zum Ziele wählen, und er wird ihn stets mit Erfolg betreten, wenn er Kraft mit Ausdauer verbindet. Die besten Erziehungsanstalten geben davon den Beweis. Alle ihre Gründer gingen selbstständige Pfade, und alle gelangten zu dem nämlichen Ziele. So Pestalozzi, so Fellenberg, so Salzmann, und wo in ihres Gründers Geist der angebahnte Weg fortbetreten wurde, da erhielten sich ihre Institute auch nach ihrem Tode.

Salzmann’s Institut in Schnepfenthal hat nun weit über ein halbes Jahrhundert bestanden, und obschon sein großer Stifter lange von ihm geschieden ist, ward doch sein Ruf und sein Ruhm nicht kleiner. Die Ehre, dem Range nach die erste Erziehungsanstalt in Deutschland zu seyn, wird ihm noch heute zuerkannt. Die Pädagogik ist seit Schnepfenthals Entstehen fortgeschritten, wie alle Wissenschaften fortgeschritten sind; darum sind aber