Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 15. Band 1852.djvu/10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

zu reguliren, Streitigkeiten mit den Nachbarstämmen zu schlichten und über Gebietsabtretungen für die herandringende Einwanderung zu verhandeln. Sie wählte zu diesen Aufträgen wissenschaftlich gebildete Männer von hervorragender Stellung. – General Caß, einer der Kandidaten für die nächste Präsidentschaft, leitete Jahre lang persönlich den Verkehr mit den Indianern in Minnesota und widmete der eifrigen Durchforschung dieses fruchtbaren und gesunden Landstrichs Mühen und Gefahren. Die Auffindung der Mississippiquelle machte er zum besondern Ziel seines Ehrgeizes. Er verfolgte den jungen Strom auf seinen labyrinthischen Windungen von See zu See; – was er inzwischen für die Mississippiquelle selbst hielt und die Welt dafür hinnahm, wies sich später nur als der Ursprung eines Nebenflusses aus. Erst im Jahre 1831 konnte Schoolcraft die für die Geographie so interessante Frage lösen, den Ursprung des Stroms sicher bezeichnen und den Ehrenkranz des Entdeckers um seinen Scheitel legen.

Die Quellwasser des Mississippi bilden einen kleinen See in Hufeisenform, der auf den Karten den Namen Itasca Lake trägt. Der neugeborne Strom ist so kräftiger Natur, daß er als ansehnlicher, 16 Fuß breiter Bach seine Wiege verläßt. Man schätzt die Höhe des Wasserspiegels von Itasca Lake über der Meeresfläche nur auf 1575 Fuß. Ihre Geringfügigkeit im Verhältniß zu der Länge des Stromlaufs (3000 Meil.) setzt in Verwunderung. Weil das Gefälle auf diesem Tafellande so klein ist, so schleicht der Bach in unzähligen Krümmungen langsam fort, bald zwischen majestätischem Urwald hin, bald durch mit Schilf und Riedgras bedeckte Gründe, von See zu See, bis er, mit andern Bächen vereint, zum Fluß erwachsen, die erste Thalstufe erreicht. Hier stürzt er in Katarakten nieder und begegnet dann, schnellern Laufs, den ersten Ansiedelungen der weißen Menschen. – Die Landschaft um den Itasca Lake ist mehr ernst als heiter, trotz der Jungfräulichkeit der Erde, trotz der strotzenden Ueppigkeit des Bodens. Kein nackter Fels, kein entblößter Fleck ist sichtbar; die Vegetation hat Alles bekleidet. Die erratischen Blöcke, welche an den Ufern des Sees herumliegen, sind mit wilden Reben und Brombeerstauden überwachsen, und junges, frisches Getriebe, Kräuter und Blumen, Schmarotzer- und Schlinggewächse keimen, sprossen und klettern überall an und auf den uralten Stämmen der Tannen und Eichen. Ihr helles, frisches Grün bringt Abwechselung in das Dunkel der Coniferen. Man könnte beim Anblick dieser stillen und doch so großen Natur an das Bild des Paradieses denken, wie es die nordische Mythe schildert. Die Natur ist hier ein von der Hand des Menschen noch unberührtes Heiligthum. „Ohne Scheu vor dem Herrn der Schöpfung“, – schreibt mir der Zeichner dieses Bildes, – „sahen wir die Hirsche in Rudeln an dem Gestade des Itasca grafen, und als ich mich niederbückte, um einen Labetrunk zu schöpfen, bemerkte ich ein junges Reh dicht neben mir schlummernd im Grase liegen“. –

Aber das Gefühl der Einsamkeit schmälert den Genuß dieser großen Natur. Die Geister, welche, nach der Indianersage, an diesen stillen Gewässern umgehen, sind nicht die Geister der Tradition und Romantik, welche das