| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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unter Funkensprühen aus den Essen wirbeln und durch jede Dachluke das Freie suchen, das unheimliche Prasseln und Poltern im Innern des Hauses, der Feuerschein in jedem Fenster, – alles Dies läßt die Bestimmung des Gebäudes sogleich beim Eintritt in den Hof errathen. Metallene Kanonenläufe, die, theils ganz, theils zersägt, aufgeschichtet daliegen, und einzelne, unter Schuppen gelagerte, unvollendete, öfters kolossale Gußstücke, an welchen die Ciselirer hämmern und meißeln, feilen und raspeln, – entfernen auch den letzten Zweifel, daß man sich in der Erzgießerei befinde, in jener berühmten Anstalt, welche, was Vollkommenheit und Größe der Einrichtung und Meisterschaft in der Technik angeht, in der Welt ihres Gleichen nicht findet. Der Gedanke ist ergreifend und erhebend, daß man an der Stätte stehe, wo ein großer Theil jener bewunderten Denkmäler entstanden ist, welche die wahre oder lügnerische Größe von Menschen, Thaten und Reichen verherrlichen; Werke, welche Städte, Tempel und Paläste in allen Welttheilen schmücken, und wenn sie auch manche der Gefeierten in den Büchern der Geschichte nicht zu Ehren bringen können, doch von der Höhe und Trefflichkeit deutscher Kunst und Künstler dauerndes Zeugniß geben.
Die Erzgießerei ist unter die nützlichsten und gelungensten Anstalten zu zählen, welche König Ludwig I. in München dem Dienste der Kunst errichtete. Nachdem sie die nächstliegenden Zwecke erfüllt und Ludwigs großen Kunstschöpfungen den werthvollsten, bleibendsten Schmuck verliehen hatte, öffnete er, eingedenk, daß die Kunst der Welt gehöre, der Welt die Ateliers der Gießerei zur Benutzung, und seitdem hat die Anstalt ihr Wirken immer weiter ausgedehnt. Eine Menge der größten und herrlichsten Kunstwerke würde ohne sie gar nicht vorhanden seyn, oder doch nicht in der Vollkommenheit, in welcher sie aus einem Atelier hervorgegangen sind, das alle geistigen und technischen Mittel zu den höchsten Leistungen unter seinem Dache vereinigt. Keine Erzgießerei in der Welt ist, wie die Münchener, mit so vollkommenen Einrichtungen für kolossale Güsse versehen, und keine gebietet über solche künstlerische Kräfte und Erfahrungen. Stücke von 40,000 Pfund Gewicht können in einem Guß hergestellt werden. Der berühmte Erzgießer Stiglmayer hat die Ehre, der erste Einrichter und Vorstand dieser Anstalt zu seyn, und ihm verdankt die Gießkunst eine Menge der wichtigsten Verbesserungen. Stiglmayer starb im Jahre 1844 und fand in seinem Neffen und Schüler, dem jetzigen Inspektor Miller, einen würdigen Nachfolger. Miller ist der rechtmäßige Erbe von seines Onkels Ruhm. Er hat namentlich den Erzguß der größten Statuen zu einem Grade der Vollkommenheit gebracht, welche vor ihm unmöglich schien. Ich kenne nur einen deutschen Meister, welcher neben ihm genannt werden darf: der nürnberger Burgschmied.
Der Künstler, dessen Griffel wir die Zeichnung zu unserm Stich verdanken, hatte bei der Aufnahme den glücklichen Moment getroffen, wo, nach gelungenem Guß des Haupttheils der kolossalen Bavaria, das Künstlerpersonal vor der Gießhütte auf Gerüsten beschäftigt war, das Gießstück zu reinigen und früher gegossenen Theilen anzupassen.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/125&oldid=- (Version vom 29.8.2025)