| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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Außen gehörig gesteift und befestigt war, schritt man zum Ausguß des Raums zwischen der Gypsform und dem Kern, und nach Abnahme der Stückformen erhielt man so das erste vollendete Gypsbild der Statue zum Fertigmachen.
Es war im Herbst 1842. Jetzt handelte es sich um das Schwierigste, nämlich die letzte Ueberarbeitung des wegen der ungeheuern Dimensionen gar schwer zu übersehenden Ganzen, auf daß die Schönheiten der einzelnen Gliederformen in harmonischen Einklang gebracht würden zu einer einheitlichen, lebensvollen und plastischen Frauengestalt.
Das war nur möglich durch Anschauung und Studium in wohlbemessener Ferne. Es waren aber gar kalte stürmische Novembertage, in denen der schon kränkelnde Meister an diese mühselige, geistmarternde, – und doch für den Erfolg des so großen und gewagten Unternehmens entscheidende Arbeit geben mußte; denn Stiglmayer, der Erzgießer, hatte seine nicht minder kolossalen Vorarbeiten im Gießhause fast vollendet: er drängte und der König drängte mit. Der Breterverschlag wurde von den Seiten des Modellhauses abgenommen und durch eine weite, zeltartige Umhüllung von Segeltuch ersetzt. Zum Erstenmale erblickte des Meisters leibliches Auge die Bavaria frei, wie sie sein inneres Auge geschaut hatte. Er ward dadurch so ergriffen und aufgeregt, daß ihn ein Fieber packte und mehre Tage zu Hause gefangen hielt. Fortan war für ihn kein Rasten und Bleiben mehr. Stiglmayer erkrankte tödtlich, und Schwanthaler fühlte, daß seine eignen Tage gezählt seyen. Der Gedanke an die Möglichkeit, daß er sich von dem Werke seines ewigen Ruhms werde trennen müssen, ehe er ihm die letzte künstlerische Vollendung gegeben, quälte seine Seele beständig. Schwanthaler war Vor- und Nachmittag, selbst im schlechtesten Wetter, auf dem Platze, und wenn ihm sein fortschreitendes Siechthum das Gehen versagte, so ließ er sich hinaus fahren oder tragen. Da sah man ihn, in der Ecke seines Wagens sitzend, in Pelz und Decken gehüllt, um die Statue fahren, mit gewandtem Blicke wiegend und messend, während auf den Gerüsten die Gehülfen und Schüler seinen Winken und Worten lauschten, um darnach zu ändern und zu bessern. Wenn es nicht nach seinem Wunsche ging, da geschah es wohl manchmal, daß er, seine Kränklichkeit vergessend, ärgerlich aus dem Wagen sprang, und die Gänge und Gerüste im Flugwagen ereilend, selbst noch Abänderungen und Verbesserungen beschaffte. So traf ihn einst der König, wie er mitten unter seinen Gehülfen handthierte, die, hoch oben an der Riesin wie Schwalben klebend, sie mit Hammer, Meisel und Feile bearbeiteten, hier wie in einem Gypsbruche Klumpen abschlagend, dort tiefe Furchen eingrabend, dort Massen von nassem Gypsteich zulegend – ändernd, was von unten dem Auge des Layen der Abänderung gar nicht werth erschien, ja oft keinem Sinn bemerkbar war, als dem feinen, scharfen, denkenden Auge des Meisters allein. Da rief ihn der König und er stieg herab während der Sturm heulte und ihn Schneegestöber anwehte, denn ein Theil der leichten Zeltbedachung war indeß vom Winde weggetragen worden. Unten umarmte
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/127&oldid=- (Version vom 29.8.2025)