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Seite:Meyers Universum 15. Band 1852.djvu/129

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auf allen Gesichtern. Schweigen schließt jeden Mund. Der Meister prüft zum legten Male die Erzmasse mit einem langen Metallstabe – alle Hände ziehen sich krampfhaft zusammen – da fällt das Zeichen: – ein Ruck der zwanzig Hände, und in gewaltigem Schwunge stößt die schwere Eisenstange gegen den Zapfen – einmal, zweimal, dreimal und – heraus fährt der Feuerstrom mit unsaglicher Gewalt und gießt seine Wogen in weitem Bogen, leuchtend, Flammen von sich werfend, in eine Höhlung am Boden, – von der sie durch die Lehmkanäle den Oeffnungen der Gießform zufließt. Pfeifend und heulend entweicht vor dem einströmenden Erze die Luft durch die an verschiedenen Stellen angebrachten Röhren, – der Meister lauscht, in der heftigsten Spannung, auf jedes Geräusch – da tritt das geschmolzene Erz in den Gießröhren leuchtend empor: es ist das ersehnte Merkmal des Gelingens und ein freudiges „Hurrah“ erschüttert das ganze Haus. Das Werk ist gethan und es ist gerathen. – Die Dicke der Erzschale der Bavaria beträgt kaum einen halben Zoll, und doch gehörten zu den größten Gußstücken 40,000 Pfund Metall. Der ganze Koloß wiegt 1560 Centner. Bei der Bavaria mußte sich die eben beschriebene Gußoperation nicht weniger als siebenmal wiederholen – denn in sieben Stücken wurde sie gegossen. Als die schwierigste Parthie erwies sich die Herstellung des Bruststücks. Es handelte sich nämlich um die Verschmelzung von etwa 400 Centner Erz mit einem Male, d. h. um 100 Centner mehr, als je vorher der Flammofen eingenommen hatte. Schon war die Schmelzung weit vorgeschritten, da begann sie zu stocken. Es hing von dem rechtzeitigen Guß Vieles ab – nicht nur ein Werth von vielen Tausenden, auch eine Monate lange Arbeit stand auf den Spiele. Vergeblich waren alle sonst wirksamen Hülfen des erfahrenen Meisters; die äußere Atmosphäre, bei der drückendsten Sonnenschwüle, war dem Prozeß so entschieden hinderlich, daß nach 36stündigen Versuchen, das Erz in vollen Guß zu bringen, die Gehülfen den Muth sinken ließen und die Sache für verloren ansahen. Nur der Meister verlor den Kopf nicht. Seit 4 Tagen und Nächten war er nicht aus den Kleidern gekommen; – seine Körperkräfte waren ganz erschöpft, er befahl: „Gebt beständig Kohlen auf, so viel als nur der Ofen fassen kann, und feuert so fort, bis ich erwache“. Und er schlich in sein Kämmerlein, sank auf’s Bett und schlief ein. Seine Gattin war in den letzten 24 Stunden nicht von seiner Seite gewichen; sie theilte seine Aengsten und Sorgen; sie wachte auch jetzt an seinem Lager. Da hört sie Feuerruf – „die Gießerei brennt!“ meldet ein Arbeiter in Bestürzung. Die allzugroße Feuerung hatte das Balkenwerk des Dachstuhls entzündet. Miller springt auf. „Um Gottes willen nur kein Tropfen Wasser!“ schreit er, ergreift einen Arm voll angefeuchtete Tücher, klettert in den brennenden Dachstuhl – umschlingt die Balken mit den nassen Tüchern – die Arbeiter thun das Nämliche, – und während die Hälfte des Personals fortfährt, auf diese Art dem Brande Einhalt zu thun – untersucht er die Erzmasse im Ofen. Er findet sie gar und gut. Galt’s vorher die höchste Geistesgegenwart, so galt’s jetzt das kälteste Blut. Eine einzige Hand voll Wasser aus zu feuchten Tüchern zufällig in den Ofen träufelnd hätte unfehlbar die Zerstörung