| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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der Zustand des Mississippi seyn, welcher er wolle, die Fahrt fortzusetzen. Ob Menschenleben zu Hunderten bei dieser Marine der äußersten Gefahr preisgegeben werden, – das kümmert den Dampfer-Kapitän nicht; er schwimmt seinem Ziele entgegen, thut, was er kann, durch eine geschickte Leitung die Gefahr zu mindern und vertraut im Uebrigen seinem Glück. Am mißlichsten ist dann die Fahrt stromaufwärts. Wenn, so weit das Auge reichen kann, die gewaltigen Baumstämme, bald untertauchend, bald hoch die zottigen Häupter über den Wasserspiegel hebend, wie wilde Ungeheuer dem Boote entgegentanzen, da schwindet das Gefühl der Sicherheit bei den Reisenden, die ihr Leben dem Breterhause anvertrauten, und, hülflos, guckt jeder dem Tod mit Grausen in den Rachen. Nur der Kapitän und seine Mannschaft, an die Gefahr gewöhnt, zeigen durch ihre Kaltblütigkeit, daß sie Den nicht fürchten, den sie mit Geschick und Muth schon so vielmal glücklich bekämpft haben und, vergleichsweise, sind der Unfälle bei solchen Veranlassungen doch nur wenige. Viel häufiger sind die, welche durch Ueberheizung der Kessel bei dem tollen Rennen rivalisirender Boote auf dem Mississippi entstehen und jedes Jahr einigen Tausend Menschen das Leben kosten.
Um sich von der Größe der Gestein- und Erdmassen, welche auf dem Mississippi aus dem Gebirge nach dem Mexikanischen Golf auswandern, einen Begriff zu machen, muß man wissen, wie sich, im Mittel vielfacher und fortdauernder Untersuchungen, ergab, daß durchschnittlich nicht weniger als 1/3000 der ganzen Wassermasse des Missisippi aus festen Bestandtheilen besteht. Die Menge des Wassers selbst aber, welche er in jeder Minute in den Mexikanischen Golf ausgießt, ist über 7000 Millionen Kubikfuß. In jeder Minute führt also der Strom eine Erd- und Steinmasse von mehr als 2 Millionen Kubikfuß in’s Meer, welche, wegen ihrer größeren Schwere, in einem Halbkreise von etwa 30 engl. Meilen von seiner Mündung, (so weit kann man den Einfluß des trüben Stromwassers aus der Färbung des Meeres unterscheiden) und vereint mit der Unmasse von Vegetabilien (Baumstämmen, Sträuchern und verfilztem Gras), als Sediment den Meergrund beständig erhöhen, bis ihn als Land das Sonnenlicht bescheint und belebt. – Das größte Gebäude der Erde, die Pyramide des Cheops, hält 25 Millionen Kubikfuß und war, berechnet auf 1000 Arbeiter, das Werk von mindestens 20 Jahren. Der Mississippi aber, der stündlich über 120 Millionen Kubikfuß Erde und Gestein in’s Meer führt, mauert jeden Tag so viel als 120 jener Pyramiden von dem Meergrund auf.
In dieser rastlosen Thätigkeit des Vaters der Ströme ist der Schlüssel zu der eigenthümlichen Bildung seines Thales gefunden. – Ungeheure Sümpfe (Swamps), mit grünem Fadenmoose überwachsen, oder mit haushohem Schilfe bestanden, in welchem Milliarden von Sumpfvögeln und Reptilien nisten, bedecken auf mehr als hundert Meilen von seiner Mündung halb Louisiana, und sie werden erst nach Jahrtausenden, wenn der Mississippi
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/13&oldid=- (Version vom 17.8.2025)