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Seite:Meyers Universum 15. Band 1852.djvu/141

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DCLXXXIV. Aarau.




In jedem Volke ist eine Offenbarung, die von Oben kommt, und durch jedes Volksleben geht ein Strahl vom Himmelslicht, vor dem der dunkle Erdengeist sich beugt. An ihm läuft der Volksgedanke hinan zum ersten Ahnherrn, und am Ursprung der Menschheit sucht er die ersten Keime seines eignen Wesens auf. Jede Nation hat ihre Mythen und Traditionen als Lebensmitgift, und trägt durch die Jahrhunderte Gebräuche und Institutionen, in denen ihr eigenstes Leben, oft unbewußt, wurzelt. Daher das feste Anhängen der Völker an alles geschichtlich Ueberlieferte, – des Volks Gedächtniß, daß jede Vergangenheit unsterblich macht; daher das zeitweilige Wetterleuchten der alten Erinnerungen, welche ein Volk mit in seine Endlichkeit hinabgenommen hat; daher die Blitze, welche dann und wann, als allgewaltige Ideen, aus der Vergessenheit die Gegenwart durchzucken, daher der unaustilgbare Zug und Drang, Verlornes wieder zu gewinnen, Umgestürztes wieder aufzurichten, und Altes, was die Probe der Zeit bestanden, wieder an des Neuen Stelle zu setzen, sofern sich das Neue als unzweckmäßig oder nachtheilig erwieß. Gerade in den Tagen der Gefahr und schweren Bedrängniß von außen wird sich in einem lebenskräftigen, willensstarken und von der Freiheit gestählten und erhobenen Volke dieses Streben, diese Sehnsucht nach den alten Horten seiner Freiheit und Unabhängigkeit am entschiedensten äußern. Unter dem stärksten Druck, der zu entmuthigen, zu entzweien und zu trennen strebt, wird die treue Anhänglichkeit der Volksgenossen an die Institutionen, welche die Unabhängigkeit und Ehre des Landes in frühern Zeiten gewahrt haben, sich am wärmsten und opfermuthigsten zeigen, und wird jene Bruderliebe unter den Volks- und Bundgenossen sich entwickeln, die einen Mittelpunkt und Anhalt in den gemeinsamen Heiligthümern findet. Ein solches Heiligthum, das theuerste unter Allen, ist die Freiheit selber – und in dem Streben, sie unangetastet und unversehrt zu bewahren, hat ein freies Volk immer das stärkste Band der Einigung zu suchen. Bruderliebe um der Freiheit willen, sie soll der Stern seyn, welcher, wenn die Wolken fremder, übermächtiger Unterdrückung am Horizonte aufsteigen, den Muth und das Vertrauen in alle Herzen strahlt. Sie sey in der Nacht der Bote für den kommenden Tag; sie sey die Kraft, die dem Uebermaße fremden Hochmuths und dreister Ansprüche würdig und nachdrücklich zu begegnen weiß und die angefochtene