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Seite:Meyers Universum 15. Band 1852.djvu/142

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Einheit des Volkslebens zu bewahren oder herzustellen trachtet; sie sey der unverwüstliche Grund, auf dem die großen Thaten wachsen, der Geist, der ein freies, lebensfähiges Volk alle Krisen überstehen, alle Gefahren überwinden, und aus jeder Katastrophe es wieder aufschwingen läßt, wie ein Phönix aus der Asche.

Es befindet sich aber das Volk der Schweiz gegenwärtig in einer kritischen Lage voll äußerer Anfechtung, aus welcher es nur die Einheit in der Bruderliebe, von dem Muthe der Freiheit getragen, sicher und ehrenhaft führen kann. Einheit in der Bruderliebe und in festen Zusammenstehen muß das unwandelbare Dogma des schweizer Volksgedankens seyn und bleiben. In ihr werde das Palladium der gemeinsamen Unabhängigkeit erkannt, sie mache in jedem Schweizer das Bewußtsein lebendig, daß seine Freiheit aus einer gemeinschaftlichen Wurzel empor gewachsen; sie sey die Fackel, die unauslöschlich brennt, die Lohe, die zum Himmel schlägt, das Schwerdt, daß die Ungebühr rächt; in ihr erblicke er das heilige Zeichen des Siegs, wenn die Ehre nur die Wahl zwischen Demüthigung und Kampf gelassen; sie sey das Fundament seines Daseyns, die Achse der Schweizer Erde.

Doch in der Centralisation der Bundesgewalt, wie sie gegenwärtig besteht, haben, meines Bedünkens, weder die einheitliche Bruderliebe, noch der Stolz der Freiheit, ihren wahren Ausdruck gefunden. – Jenes Erbe eines heillosen Zerwürfnisses (des Sonderbundskrieges), hat vielmehr, wie es mir scheint, der alten Freiheit und Unabhängigkeit der Eidgenossen mehr geschadet, als genützt. Es konnte von den wohlmeinenden Männern, welche in der Centralisationsidee eben so befangen waren, wie unsere Parlamentsprofessoren zu Frankfurt, dem Schweizervolke nichts Zweckwiderigeres geboten werden, als jene die frühere Selbstständigkeit der Kantone einschränkende Verfassung, durch welche ein Bundesstaat an die Stelle des uralten Staatenbundes gesetzt ward und an den Platz des alten Partikularismus der Centralisationsgeist, welcher der Freiheit allemal Eintrag thut. Die Männer, welche damals das Heft in der Hand hatten, haben nicht an den Arzt gedacht, welcher dem Kranken, des bösen Fingers halber, den Arm ablöste. Sie haben die Schweiz dahingebracht, dem kecken, rührigen, bis zur Kühnheit muthigen, auf seine Freiheit und Selbstständigkeit eben so stolzen als eifersüchtigen Kantonsgeist, bei dem fünfhundert Jahre lang die Republik mit Erfolg bestand, zu entsagen. Anstatt, wie es sonst unter der alten Föderativverfassung geschah, streng, starr, und im Vollbewußtseyn der Volfskraft rücksichtslos die Unabhängigkeit vom Auslande zu behaupten, sieht man jetzt den centralisirten Schweizerstaat zahm, rücksichtsvoll, bedächtig und diplomatisirend, sich schmiegen und einfügen in die Ordnung des europäischen Fürstenbundes, und wo jeder Zoll die Volksherrlichkeit gewesen mit allen republikanischen Tugenden und Fehlern, da ist unter dem Dache des Centralstaats eine Art Regierung erwachsen, welche auf jeden Mißton von Außen erschrocken horcht und bei jedem Windstoß die Segel refft oder einzieht. Die centralisirte Schweiz ist auf dem besten Wege eine Büreaukraten-Republik zu werden, welche so wenig Furcht mehr einflößen wird, als ein Menagerie-Löwe, dem man Zähne und Klauen ausgebrochen hat. Was dem