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Seite:Meyers Universum 15. Band 1852.djvu/143

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Schweizervolke die Centralisation an materiellen Vortheilen gegeben hat: Telegraphen, Einheit in Maaß, Gewicht, Währung und Porto, Gesammtvertretung in Handels- und Zollsachen etc., ist allerdings hoch anzuschlagen; doch aber es ist kaum zu rechnen gegen Das, was die Centralisation dem Volke an höhern Gütern schon kostet und noch kosten wird.

Es ist nicht zu läugnen: durch die Adoption des Centralisationsprinzips hat sich die Schweiz von den Traditionen eines halben Jahrtausends losgesagt und, nach Dem, was bis jetzt zu beobachtet war, hat sie durch die Verpuppung ihrer lebenskräftigen Föderativrepublik in einen Bundesstaat keineswegs an Achtung, weder von Innen noch von Außen, gewonnen. Eine Nationalität, die so scharf ausgeprägt ist, wie die Schweizerische, eine Nationalität, welche den Rost von so vielen Jahrhunderten an sich trägt – unter einen neuen Stempel zu bringen – das kann weder ihr Schrot, noch ihr Korn verbessern oder erhöhen. Inzwischen wird das schwächliche Kind der Verlegenheit wohl für keine Nachkommenschaft zu sorgen und zu erwerben haben. Die Centralisationsverfassung war zu entschuldigen als ein Erzeugniß des dringenden Augenblicks und hat in der Stunde vergangenen Zwiespalts ihren Dienst gethan. Den größeren Gefahren, wie sie heute die Schweiz bedrohen, den viel größeren, die noch kommen werden, ist sie nicht gewachsen. Dazu mag jene gröbere Hülle taugen, welche der Stürme und Wetter schon so viele bestanden hat, und dieses unschätzbare Erbe wird der gesunde Volkssinn wieder erfassen, so bald er den positiven Werth oder Unwerth der jetzigen Centralverfassung klar erkannt hat. Die Zeit ihrer Prüfung ist gekommen und bald genug dürfte dem Schweizervolke die Einsicht werden, daß eine gestärkte, erkräftigte Föderativverfassung nach altem Prinzip, ein verlässigerer Geist sey, als jener diplomatisirende Centralisationsgeist mit der leeren, schüchternen, zahmen Höflichkeit nichtiger Staatskunst, der niemand traut und die niemand fürchtet. Jener wußte, was er wollte, und hat allezeit sich Respekt vom Auslande zu verschaffen gewußt. Wenn sich aber vor dem Centralstaat unverschämte Forderungen herauswagen, so thun sie es sogar ohne Furcht, mit gleicher Münze bezahlt zu werden.


Wer sehen will, was die Selbstregierung in Freiheit schaffen kann, der komme in’s Aargauer Land! Noch vor zwei Jahrhunderten sah man in demselben gedrücktes, leibeigenes Bauernvolk, an Zahl kaum 10,000 Familien, in elenden Dörfern und Flecken um die Burgen des Adels oder um die Klöster und Prälaturen geistlicher Zwingherrn in Unwissenheit, Schmutz und Armuth hausen; denn nur in den Thälern war dürftiger Anbau, und mit Waldungen, Sümpfen und Mooren war das übrige Land bedeckt. Jetzt wohnen auf dem Flächenraum von kaum 25 Geviertmeilen fast 190,000 freie, fleißige und gebildete Menschen, und mit der Physiognomie des Volkslebens ist auch die des Landes gänzlich verändert worden. Die Burgen der stolzen Leibherren und Ritter sind von den Höhen verschwunden