| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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benutzen. Die Vorurtheile, welche der finstere Geist der Unwissenheit und des Pfaffenthums geschaffen und gepflegt hatte, verschwinden und die Rohheit der Sitten ist vor dem Lichte des Unterrichts und dem bildenden Einfluß der Freiheit vergangen. Selbst in den dunkelsten Winkeln des Landes, wohin in frühern Zeiten kein erwärmender und belebender Strahl in die umnachteten Seelen drang, ist’s heller Tag.
Wohl haben sich solche gepriesenen und glücklichen Zustände nicht ohne Kämpfe entwickeln können; Reaktionsphasen hat auch das Aargau gehabt. Der kalte Athem des Absolutismus, der Europa aus dem Munde der Triarier der heiligen Allianz nach 1815 anwehete, traf auch die schweizerische Volksfreiheit. Die Republik, die man in Holland glücklich beseitigt hatte, war in der Schweiz mit dem System, das den europäischen Kontinent beherrschte, in besseren Einklang zu bringen. Zwar wagte man es nicht, die Republik ohne Weiteres auch der Form nach zu zerbrechen; aber man versuchte, sie von ihrem Wesen zu entkleiden, und sie zur Lüge zu machen, wie sie wohl anderwärts zur Lüge geworden ist, und das Wörtlein „frei“ nur die Herrschaft Weniger neben der Knechtschaft Vieler andeutet. Da wurden auch in Aargau die Gelüste nach den Vor- und Sonderrechten vergangener Zeiten aus den Gräbern gerufen und, wie in der ganzen Schweiz, so trachteten auch dort die alten Patriziate, Stadtvorrechte und Herrschaften nach Wiederbelebung und Wiederherstellung. Gelang es ihnen auch nicht ganz damit, – so mußte doch die freie Verfassung des Aargaus, unter dem Drange des ausländischen Einflusses, der auf die ganze Schweiz lastete, aristokratische, mit den Grundsätzen der Selbstregierung unverträgliche Elemente in sich aufnehmen, ohne daß man um die Einwilligung des Volks fragte. Man oktroyirte eine 12jährige Amtsdauer der Obrigkeiten, um das Volk der Ausübung seiner landesherrlichen Rechte zu entwöhnen, seine Theilnahme am Gemeinwesen abzustumpfen, und allmählig eine erbliche Bureaukratie zu schaffen, die, wo sie herrscht, allemal Tyrannei übt, härter oft als die Alleinherrschaft. Die Stellvertretung des Volks wurde gefälscht und fühlte bald in ihrem Wirken, wie dies in monarchischen Staaten stets geschieht, das Uebergewicht und den Einfluß der Regierung. Er drang in die Gemeinden und machte sich bei der Besetzung der Gemeindeämter geltend. Aller Unfug der Aristokraten-Herrschaft, wie wir ihn noch gegenwärtig in mancher „freien Stadt“ sich gebärden sahen, kam zum Vorschein: Verwandtschaft und Protektion verhalfen zu Stellen; Opposition und Widerspruch zogen den Haß der kleinen Machthaber auf sich; Titel und Amtstrachten berückten die Eitelkeit; durch einen lächerlichen Ernst äußerer Ehrbarkeit und durch ein Gepränge, dessen Kosten man aus dem Staatssäckel bestritt, suchte man Ehrfurcht zu erwecken; durch Strenge auf der einen Seite, durch Gunst und Gnade nach der andern hin, suchte man das Volk zu theilen, es in Parteien zu spalten, sich Anhänger zu machen, die Widerspenstigen zu züchtigen. Die Preßfreiheit wurde gelähmt, die Censur machte die Gedankenmittheilung unmöglich und fälschte die öffentliche Meinung. Grundböse wurde der Haushalt – so arg, wie er irgendwo werden kann, wo
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/147&oldid=- (Version vom 2.9.2025)