| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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Stäbe mit Silberknöpfen tragen. Ein Dutzend Diener des Hotels stehen am Treppenhause, Deine Befehle erwartend. In diesem Hause wird jeder Neu-Ankommende empfangen wie ein Prinz, und jeder findet in demselben, was er sucht. Du verlangst ein Dachstübchen: ein dienstfertiger Geist geleitet Dich hinauf; Du forderst gebieterisch Apartements in der Bel-Etage: – es sammelt sich eine Queue von Marqueurs und Lakayen um Dich, silberne Armleuchter wandeln Dir voran, die Freitreppe von Marmor hinauf, Flügelthüren springen auf und Pracht und Comfort umgeben Dich, als wärst Du Sardanapal. –
In diesen Zimmern und Salons des ersten Stocks vermißt der Gast nichts, um seine Prachtliebe und seinen Sinn für feine Bequemlichkeit zu befriedigen; nicht den Teppich von Aubusson, nicht das Piano von Erard, nicht den Chronometer im Goldgehäuse, der die Stunden des Vergnügens auf’s Genaueste zeigt; nicht das Venetianische Spiegelglas, das von der Diele bis zur Decke reicht, nicht die silbernen Gefäße der Toilette, nicht die Bilder von Delaroche, nicht den parischen Marmor, welcher Leben athmet. Kein Zeichen, kein Schmuck, kein Prachtgeräthe, womit Rang und Reichthum ihre Günstlinge umgeben, fehlt. Ein Salon ist vorhanden für Madame, ein Studirzimmer mit Bibliothek für Monsieur, ein Zimmer zu den Audienzen, eine Antichambre für die Wartenden; Saal für die Dienerschaft, Corridor für die Portiers. Jeder Schellenzug gibt einem dienstbaren Geiste Flügel oder zaubert eine Sylphide zu Deinen Füßen, um Deine Befehle zu empfangen, kurz: – kein Fürst kann fürstlicher wohnen als in der Bel-Etage dieses Hauses. – Du steigst eine Treppe höher. – Das Leben ist stiller, der Prunk macht keine Prätensionen mehr, Comfort tritt in den Vorgrund. Die Dienerschaft ist weniger glänzend gekleidet, sie gehorcht weniger schnell dem Winke; die Bücklinge sind nicht so tief, die Zimmer nicht so hoch, die Ausstattung ist nicht so in Fülle und so kostbar, obschon geschmackvoll. Der Prinz des Hotels ist in dieser zweiten Etage ein wohlhabender Kaufmann, ein Rentier aus der Provinz, ein Sous-Präfekt, ein General, der seine Pension zwischen der Wirthshausrechnung und dem Spieltische theilt; oder er ist ein Gutsbesitzer, welcher seiner Frau oder seiner Tochter Paris zeigen will.
Du steigt noch eine Treppe höher. Die Stille hat zugenommen, die Diener sind älter geworden, ihr Eifer kälter, die Livree fadensichtiger, niedriger die Decken der Zimmer, die Thüren, die Fenster: – bürgerlich sieht das Ganze aus nach Ausstattung und Einrichtung; die Nettigkeit ist größer als die Eleganz und die Formen sind mehr von gestern, als von heute. In diesem dritten Stock des Hotels wohnt der Advokat aus der Provinz, der die Geschäfte seiner Auftraggeber bei der Centralbehörde betreibt; der Gutsverwalter, der Professor aus dem Departement, der junge Arzt, der die Kliniken besucht; die Wittwe, welche eine Pension oder eine neue Verbindung wünscht, die angehende Kokette, die jungen Talente des Gesangs und des Tanzes; der alte Garçon, der für seine 2000 Franken Rente das höchste Maß des Genusses erstrebt; die Aspiranten der Fortuna in allen Gestalten und mit allen Ansprüchen: Leute, die keinen Centimen in dem Schuldbuch der Nation eingetragen haben, aber in ihren Talenten
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/22&oldid=- (Version vom 20.8.2025)