| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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die Schätze Kaliforniens beständig bei sich zu führen glauben. Arglose Träumer, wäre der Wahn, der Euch begleitet, doch länger! Aber gar bald steigen sie auf der Stiege des Hotels höher und tiefer auf der Leiter ihrer Hoffnungen, bis sie anlangen im Dachstübchen, in welchem vor ihnen die verlassene Grisette die vergangenen Tage der Freude beweinte. – Willst Du noch weiter? Willst Du in die Kämmerchen gucken à soixante sons par mois mit dem einen Fensterchen, das über der Kloake des hintersten Hofes sich öffnet? Puh! Ich sehe, Du bist ermüdet. – Horch’! Glockentöne schallen durch’s Haus; die Thüren fahren auf und schlagen zu; lachend und singend, plaudernd oder schweigsam, gravitätisch oder leichtfertig, „Bon jour! Bon soir!“ Nachbarn und Bekannten spendend, rauscht der Menschen-Strom der Treppe zu, die zum Speisesaal führt. Die Eßglocke hat allen Unterschied des Rangs unter den Bewohnern des ersten bis zum dritten Stock ausgetilgt; Alle erscheinen in mit Geschmack geordnetem Anzug. Die femme entretenue ist von der Herzogin in Grandezza, Anmuth und Glanz der äußern Erscheinung kaum durch das geübteste Kennerauge und nicht minder schwer zu unterscheiden, als der ächte Schmuck von Imitationsdiamanten beim Kerzenschimmer. – In keinem Königsschloß sind die Speisesäle geräumiger und prächtiger als im Hôtel des princes. Die Tafeln und Sessel sind von geschnitztem und vergoldetem Palisanderholz, die Damaste von größter Feinheit, die Aufsätze von Silber, die Kandelaber vergoldet, das Porzellain aus Sevres und von der größten Feinheit; blühende Orangenbäume und die seltensten Ziergewächse füllen jede Ecke, und über den Etageren biegen sich, mit Früchten und Blumen beladen, exotische Pflanzen. – Ist’s eines Monarchen Namenstag? Gibt ein Großbotschafter ein diplomatisches Diner? Sind die Coryphäen der Wissenschaft, der Philantropie, der Börse zu einem Festessen versammelt? so fragst Du Dich bei dem Eintritt in diese glänzende Gesellschaft, die von Sternen und Orden funkelt und hinter deren Sesseln fünfzig Aufwärter in Frack und Seide mit dem Anstand des Gehorsams der Befehle lauschen – und Du staunst, wenn Du hörst, daß es das Schauspiel ist, welches sich zur sechsten Stunde jeden Abend in diesen feenhaften Räumen wiederholt. Und all’ diese Herrlichkeit, mit einer Tafel, die den Feinschmecker entzückt, kannst Du sammt Deinem netten Kabinettchen im dritten Stock, sammt Wäsche, Frühstück und Bedienung für tägliche zehn Franken haben – und dabei hast Du den unbezahlbaren Genuß einer guten Gesellschaft, einer geistreichen Unterhaltung, des Anblicks der schönsten Frauen, und Du kannst mit Berühmtheiten, die hier aus der ganzen Welt zusammenkommen, Worte und Blicke wechseln. Heute ist der persische, morgen der türkische Gesandte Dein Tischnachbar, das nächste Mal eine Kokette, in deren Augengluth alle Männerherzen schmelzen, oder eine Dame, die ihr billet doux mit einem Grafenwappen siegelt; oder Du sitzest neben einem russischen Fürsten, dessen Bruder in Sibirien Zobel fängt für seinen Czar und dessen Physiognomie selbst beim Champagnerglase in Paris nicht
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/23&oldid=- (Version vom 20.8.2025)