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Seite:Meyers Universum 15. Band 1852.djvu/35

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vage Hoffnungen, sey es durch Furcht und Schrecken, durch Lambessa und Cayenne. Jedes Mittel zur Erreichung seines Ziels ist ihm recht gewesen, und er erschrak so wenig vor den verschwenderischen Ausgaben der Millionen, als vor den sittlichen Konsequenzen seines Thuns und seines Handelns. Jenes erste Ziel, den Kaiserthron, hat Ludwig Bonaparte heute erreicht. Jetzt steht die Frage: was wird sein nächstes seyn? Die Herrschaft der Napoleoniden in Europa war der eingestandene Plan des großen Oheims; und Ludwig Bonaparte gibt sich für seinen Erben aus und für berufen, dessen Entwürfe zu erfüllen. Er sagt jedoch: „l’empire c’est la paix“; und dieses sein kaiserliches Wort ist eben so glaubwürdig, als des Präsidenten Eidschwur auf die Verfassung, die er heute vor einem Jahre zerriß und in dem Blute ihrer Vertheidiger begrub; es ist nicht weniger werth, als das Wort seiner Proklamation nach dem Staatsstreich: „ich liebe die Republik, weil sie die Freiheit schützt, und werde sie erhalten“; es ist so viel werth, als sein Wort von gestern: „l’empire c’est la democratie couronnée“. Wenn alle diese Worte niemals mehr gewesen sind, als Phrasen, um des Mannes wahre Absichten zu verheimlichen, so wird man auch das Wort „l’empire c’est la paix!“ für nicht mehr annehmen mögen. Ludwig Bonaparte hat zwar keinen Funken von dem Genie seines Onkels, sein Ehrgeiz aber ist gewiß nicht kleiner. Alles, was diesem Ehrgeiz zur Befriedigung dienen kann, ist ihm willkommen. Frömmigkeit und Heuchelei, Wahrheit und Falschheit, Treulosigkeit und Grausamkeit, eiserne Härte und Großmuth, Wohltätigkeit und Freigebigkeit bis zur Verschwendung – sie können in seinen Augen gleichbedeutende und gleichgültige Dinge seyn. Wer will behaupten, daß Ludwig Bonaparte ein Gefühl habe von Liebe oder Freundschaft, von Dankbarkeit oder Verpflichtung, wenn er heute der Treue den Rücken kehrt, die er gestern belohnte, wenn er morgen seinen Bundesgenossen in’s Exil stößt oder in den Kerker, den er heute mit den Zeichen der Gunst und seines Vertrauens bedeckte; wenn er dem Feind, den er verfolgte, mit der Miene der Großmuth plötzlich die Hand reicht, sobald es seinen Absichten frommt? Verschlossen in seinen Plänen, Herr seines Mundes, dem er niemals das Recht gibt, der Verräther seiner Gedanken zu seyn, in der Verstellung ein noch weit größerer Meister als Talleyrand war, erreicht er seine Ziele mit der Gewandtheit eines Luchses, während die Welt ihn noch weit davon entfernt glaubt und sich in falsche Sicherheit wiegt. Er ersieht bei seinen Sprüngen „seine Stunde“, in der sein Stern ihm Erfolg verheißt und ihn der Glaube kräftigt, daß der Erfolg ein sicherer sey. Zaghaft und schwankend zu andern Zeiten ist er immer bereit, in jenen Momenten des Glücks das Verwegenste, Unerwartetste und Ueberraschendste zu unternehmen und jeder Gefahr mit kaltem Blute zu trotzen. Als Monoman seines Namens glaubt er blind an das Dämonische seines Schicksals und an die Größe seiner historischen Sendung, und so betrachtet erscheint und seine Gestalt wie die des Leviathan, welche über eine unglücksschwangere Zukunft die schwarzen Schwingen breitet. Ledig aller Bande, die die gewöhnlichen Sterblichen fesseln, und ohne sittliches Steuer, folgt er, mehr fanatisch, als willensklar, dem Fatum, seinem Gott.