| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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Der Freiheit Maßstab ist allein – der Geist,
Der Geist, wie er vollbracht sein ächtes Sollen.
Das freie Germanien hat Rom bezwungen und die Welt des Alterthums erlöst; die Herrschaft über die neue Welt ist den freien Germanen Amerika’s verheißen. Freiheitsliebe ist die Mitgift des deutschen Lebens, und Der darf nicht sagen, daß er den landgebornen Gotte Teut entstamme, dem die Knechtschaft erträglich ist. Mit dem Namen „Mann“ war in den alten Zeiten der Begriff des Freien unzertrennlich verbunden – Mann hieß der Sohn des Teut, Wehr-Mannen (Germanen), das Volk der freien Männer.
In ihrem Sinn für Freiheit und in ihrem Gefühl der Kraft war der Germanen Wandertrieb begründet. Sie zogen fort in andere Länder und Welttheile, kolonisirend, erobernd, Reiche umstürzend, Staaten gründend und aufbauend, und ihr Blut erfrischte die Säfte fremder, alterschwacher, kraftloser Völker zu neuer Thätigkeit. So thaten die Sachsen in Britannien, so die Franken in Gallien, die Gothen und Sueven in Spanien, die Vandalen in Afrika, andere Stämme in Italien, in Pannonien, in Thracien. Manche verloren auf diesen Zügen ihre Namen; aber der deutsche Geist offenbart sich dem Forscher überall, wo deutsches Blut sich mit dem Blute anderer Völker gemischt hat. We dies Statt fand, da ist auch Streben nach Freiheit des Gedankens, des Glaubens, der Wissenschaft, in Kunst und in Staat; es ist ein unverwüstliches, unaustilgbares; es verräth sich unter tausend Fesseln; es ist unsterblich.
Dieser gewaltige Geist der Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Sonderung in die Mutter unserer Geschichte, unserer Heldenthaten, unseres wissenschaftlichen Ruhms; freilich auch unserer Uneinigkeit und unserer Zersplitterung in so viel Stämme und Zweige und der politischen Schwäche, die damit verknüpft sind. Dabei bleibt sie jedoch stets die Quelle unberechenbarer Vortheile und Schätze und das Schild unseres eigenthümlichsten Wesens, und Diejenigen, welche der Volkseinheit die Sonderheit der Stämme geopfert wissen wollen, verkennen die deutsche Volksnatur gänzlich und wollen ihr Gewalt anthun. – Eben darum wird ihr Streben beständig scheitern. Wenn die Einheitsideen, welche in manchen Köpfen spuken, jemals Wirklichkeit gewinnen sollten, so wäre die Geschichte des deutschen Volks in Deutschland bald geschlossen. Von den Moment der Austilgung unseres Stammlebens würde nicht nur ein anderer Zeitraum, sondern auch eine andere Geschichte beginnen müssen. Wir hätten aufgehört, Deutsche zu seyn.
In Folge des im deutschen Volksthum tief begründeten Wandertriebs sind die Länder deutscher Herkunft seit langer Zeit die Ausgangspunkte einer beständigen Völkerwanderung geworden, deren Strom sich
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/49&oldid=- (Version vom 22.8.2025)