| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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Die Naturwissenschaften haben seit einem halben Jahrhundert an Fortschritt, Umfang, Kraft und Wirksamkeit außerordentlich gewonnen. Schon dehnen sie ihre Herrschaft auf die verschiedensten Gebiete des menschlichen Geistes aus und auf alle Verhältnisse und Beschäftigungen des Lebens üben sie mehr oder weniger Einfluß.
Diese rasche und beständig fortschreitende Entwickelung danken wir vorzüglich dem Umstand, daß die heutige Naturforschung den lange verfolgten Pfad der Spekulation verließ, um den der Erfahrung und Beobachtung ausschließlich zu betreten. Es ist dies der nämliche Weg, auf welchen schon Franz Bacon und Galilei hingewiesen hatten, von dem aber die Philosophie später wieder wegdrängte. Auf die Naturphilosophie der vergangenen Zeiten sehen wir jetzt zurück wie auf einen abgestorbenen Baum, der das schönste Laub, die prächtigsten Blüthen, aber keine Früchte trug. Sie hatte mit unendlichem Geist und Scharfsinn neue Theorien zur Erklärung von Erscheinungen geschaffen; aber was sie mit den glänzendsten Farben ausgemalt, waren doch nur Bilder ihrer Phantasie. Die neuere Naturforschung hingegen hält sich an das Reale: sie sucht nichts als die Wahrheit auf dem mühseligen Wege der Beobachtung. Sie betrachtet als ihre Aufgabe die Erkenntniß, welche nur erwerben wird durch unermüdliche Arbeit und Anstrengung. Die hypothetischen Erklärungen der Phänomene durch die philosophischen Schulen von Aristoteles an bis auf die Neuzeit haben in ihren Augen nur noch ein historisches Interesse.
Die Naturphilosophen gingen auf eine Weise zu Werke, die zu dem jetzt üblichen Verfahren in umgekehrten Verhältnisse steht. Sie unterlegten jeder Erscheinung, jeder Wirkung ein Wort und dieses Wort nannten sie Ursache, um – die Wirkung damit zu erklären. Die Ursache des Falls eines Körpers, behauptete Aristoteles, ist die Schwere; die Schwere ist aber das in dem Körper wirksame Streben zur Bewegung abwärts, die
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/53&oldid=- (Version vom 22.8.2025)