| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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Daher verlieren die plutonischen und eruptiven Veränderungen allmählig an Kraft, Umfang und Allgemeinheit und sie nehmen ein lokaleres Gepräge an. Die chemischen Prozesse zur Veränderung der Erdrinde haben über die plutonisch-mechanischen bereits das Uebergewicht gewonnen und die physikalischen sind in Bunde mit jenen in den Vorgrund getreten. Die Wirkungen, welche die Wärme, die Elektricität, das Licht und der Magnetismus hervorbringen, verbinden sich mit der Thätigkeit der Atmosphäre und des Wassers, welche, fortwährend ab- und anschwemmend, zersetzend, auflösend und niederschlagend auf die Formen der Erdrinde verändernd wirken. Unter den Verhältnissen, die das Zusammenwirken jener chemischen und physikalischen Kräfte hervorgerufen haben, hat sich das organische Leben entwickelt; – zuerst das Pflanzenleben im unscheinbaren Zellchen seines ältesten und untersten Gliedes, des Kryptogams, welchem die einfachsten Formen des Thierlebens folgten. Wie sich dann die Grenzen von Wasser und Land deutlicher steckten, wie die Periode des beständigen Regens und andauernder Sumpfbildung vorübergegangen, wie süße Wasserbecken neben dem Salzmeere entstanden und das Land abtrocknete, so entwickelten sich neue, höhere Organismen nach dem unwandelbaren Gesetz stufenweiser Vervollkommnung. Die innere Erdwärme trat in ihrem Einfluß auf die starre Oberfläche, in dem Maße, als diese an Dicke zunahm, gegen die Sonne zurück. Nun entstehen die Klimate: – ein großer Abschnitt in der Entwickelung des organischen Lebens; denn die Klimate allein schon mußten viele ältern Formen verschwinden machen. Von Zeit zu Zeit wiederholten sich die Revolutionen. Zwischen denselben liegen friedliche, ruhige Epochen, in denen sich die reformatorischen Einflüsse milderen, allmähligern Wirkens, die, wegen ihrer unausgesetzten Thätigkeit, für die Schöpfungsgeschichte nicht minder wichtig sind als jene, geltend machen. In solcher Weise stieg eine Welt von Organismen nach der andern, jede jüngere auf den Schultern der ältern stehend und beständig nach dem ewigen Ziel der Vollkommenheit strebend, empor, und jede neue erscheint mannichfaltiger, vielseitiger, lokaler als die frühere, in dem Maße, als die Erdrinde selbst sich nach der Verschiedenheit von Klima, Temperatur, Zone, Wind, Strömungen, Regenmengen etc., lokaler ausbildet und gleichsam mehr und mehr individualisirt.
Erst nach der letzten großen Revolution, die unserer Erdkruste die jetzige Gestalt gab, nachdem die Lüfte ihre gefiederten Bewohner empfangen und das Meer die seinigen erhalten hatte, lange nachdem der Elephant auf den grasreichen Ebenen der tropischen Kontinente weidete und die mannichfaltigsten Thiergeschlechter Wälder und Gründe belebten – erschien auch der Mensch, in der Kette der Schöpfung das letzte und jüngste Glied und darum das vollkommenste von Allen. Was Mythe und Fabel erzählen von dem einzigen Menschenpaare als dem gemeinschaftlichen Urahn eines in Gestalt, Farbe, Raçenausdruck so mannichfachen und verschiedenen Geschlechts – das verschwindet vor der Forschung wie ein Ammenmährchen vor dem reiferen Verstande. Eben so gut könnte man
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/59&oldid=- (Version vom 23.8.2025)