| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
|
|
sagen, daß alle Katzenarten vom Löwen, und daß alle Affen von der Meerkatze abstammen. Jede Region des Erdballs hat ihre eigene Menschenschöpfung, und in der That zeigt kein Thiergeschlecht solche Verschiedenheit in den charakteristischen Formen, als der Mensch in seinen Arten und Raçen. Diese sind einander unähnlicher als Katze und Leopard, Esel und Pferd, Hund und Wolf. Im Pariser Jardin des plantes hatte man während der Kaiserzeit einmal charakteristische Exemplare verschiedener Menschenarten ausgestellt: – den Feuerländer, den Eskimo, den Rothhäuter vom Orinoco und Missouri, den thierischen Australier, den edlen Tscherkessen, den Neger vom Zambeze, den Chinesen aus Peking, den athletischen Bewohner der Sandwichinseln und den Kannibalen Neuseelands; – wer sie so neben einander sah, dem schwand der Glaube an die mosaische Mythe von dem einen Stammvater des ganzen Menschengeschlechts gewiß für immer aus der Seele. Indem die Menschen sich mehrten, indem die Familien sich ausbreiteten, sie sich zu größeren Gesellschaften vereinigten, diese sich berührten, sie ihre Jagdgebiete gegen einander abgrenzten, wurde der Keim zu der Stammgenossenschaft gelegt. Man sieht den Prozeß der Entwickelung gesellschaftlicher Verhältnisse, er geht vor sich nach ethischen Gesetzen, und nach denselben erfolgt auch der Verfall – gleichsam als wären es organische Gebilde. Die Interessen verfeinden sich, indem sie sich begegnen; die Spannungen wachsen; Noth und Habgier gebären den Krieg; das Recht des Stärkern verdrängt das sittliche Recht, und aus den nicht durch die Kultur gezähmten Völkerschaften werden wandernde Heerhaufen, Banden, deren Lebensbestimmung, nachdem sie das rohe Bedürfniß des Daseyns, der Nahrung, erfüllt haben, keine höhere ist, als Befriedigung der Mordlust, der Blutrache, des Raubs und der Plünderung. Die Zeit allein hat keinen sittigenden Einfluß. In einem rohen, wilden Zustande können die Menschen ganzer Kontinente verbleiben, ohne daß ein Jahrtausend irgend Etwas zu ihrem Wissen, ihrer Vervollkommnung, zu ihrer Veredlung und Gesittung fügt. Australien und Amerika geben davon Beweise. Der Australier ist noch derselbe dem Thiere zunächststehende Barbar, der er an dem Tage seiner Schöpfung war; und der Rothhäuter Amerika’s, die Indianerstämme von der Küste der Straße Maghellans bis zu den Ufern des Kupferminenflusses, die in 180 Sprachen ihre Schlachtgesänge ertönen lassen, haben seit den Jahrtausenden ihres Daseys ihre Beschäftigungen, ihre Kleidung, Bedürfnisse, Sitten und Gebräuche, ihre Vorstellungen und Neigungen nicht im geringsten geändert. Selbst der Kontakt mit den civilisirten Menschen konnte sie nicht anders machen; unzähmbar, wie der Bison ihrer Ebenen, oder der Bär ihrer Gebirge, entlehnten sie der herandrängenden Civilisation nur die Werkzeuge und Mittel, ihre wilden Leidenschaften vollständiger und nachdrücklicher zu befriedigen, und Europa hat nur dazu beigetragen, den Vernichtungsprozeß zu beschleunigen, welchem die ganze rothhäutige Menschheit Amerika’s verfallen scheint. –
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/60&oldid=- (Version vom 23.8.2025)