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Seite:Meyers Universum 15. Band 1852.djvu/61

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Das schöne, naturgetreue Landschaftsbild aus dem „fernen Westen“ der nordamerikanischen Freistaaten, welches den Titel dieses Aufsatzes als Unterschrift trägt, versetzt uns in das Gebiet eines der bekanntesten Indianerstämme des Welttheils, der Chippewäer. Die vom Urwald begrenzte kleine Prairie an der Mündung des St. Croix River, zwischen diesem Strom und dem Mississippi, war der Ort, wo das aus Bisonhäuten gebildete Zelt des Stammoberhaupts am öftersten gestanden hatte, wo die Aeltesten der Nation zu Rathe saßen um den Altar des großen Geistes, wenn sie Krieg und Frieden beschlossen, oder über Verbrecher ihr Urtheil fällten. Dort, wo das Blockhäuschen des ersten Ansiedlers steht, stand noch vor zwanzig Jahren die heilige Tanne, unter welcher schauerliche Feste des Cannibalismus gefeiert wurden, bei denen man kriegsgefangene Feinde lebendig am Pfahle briet und sie unter Tanz und kriegerischen Spielen verzehrte. Dort wurden auch die allgemeinen Volksversammlungen gehalten, wenn es Tausch oder Verkauf von Jagdgebieten betraf, oder Veränderungen vorgenommen werden sollten, die den ganzen Stamm angingen; denn bei den Chippewäern war, wie bei den alten Deutschen, das Volksleben stets demokratischer Natur, und das ist es unter allen Stämmen der Rothhäute Amerika’s noch bis auf diese Stunde. Die Gewalt des Oberhaupts ist nur im Kriege diktatorisch; in allen übrigen Beziehungen ist sein Wille dem der Majorität der Stammältesten unterworfen, und in allgemeinen Fragen entscheidet immer das Votum der berufenen Volksversammlung.

Jetzt hat die sonst so mächtige und gefürchtete Nation der Chippewäer, welche ostwärts das ganze Land um den Obern-, den Huron- und den Michigansee bis in die Gegend von Detroit am Erie, zu ihrem Jagdgebiet rechnete, westwärts das seenreiche Minnesota und die Ufer des Redriver bewohnte und um den Besitz des obern Missouri mit der nicht weniger mächtigen Nation der Sioux in ewiger Fehde lag, – über zwei Dritttheil ihres ehemaligen Territoriums an die Vereinigten Staaten verkauft, und sie empfängt von denselben Subsidien als Zeichen der Abhängigkeit. Der Stamm, der noch vor 50 Jahren 30,000 Krieger mit Pfeil, Bogen und Tomahak in’s Feld schickte, ist auf 20,000 Köpfe herabgesunken und Krankheiten und Laster, die ihnen die weißen Menschen zutrugen, dezimiren sie noch viel rascher, als ihre blutigen Kriege. Vergeblich war alles Bemühen der Centralregierung, die Chippewäer, welche doch als eine der intelligentesten Indianerstämme gelten, zu civilisiren, sie ihrem vagabondirenden, auf Jagd, Raub und Fehde gerichteten Leben zu entziehen und den regelmäßigen Beschäftigungen des Ackerbaus zu gewinnen; vergebens war das Bestreben der Missionäre, sie durch die Lehren des Christenthumes zu sittigen und Abscheu vor ihren kannibalischen Gewohnheiten und Gebräuchen zu erwecken: – sie haben alle Geschenke der Civilisation beharrlich zurückgewiesen, und noch im vorigen Jahre fraßen sie acht Kriegsgefangene auf, die bei einer ihrer Razzia’s gegen die Sioux, mit welchen sie seit Jahrhunderten in Erbfeindschaft leben, lebendig in ihre Hände gefallen waren.