| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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Von Genua’s hochgethürmten Gestaden,
Von Venedigs Marmorpalästen in blauer Fluth,
Von Florenz bis zum ewigen Rom.
Schön bist du, schön in Neapels
Blühendem Golf, in Tasso’s grünem Sorrent,
Schön in der Lava deines Vesuv,
In deines Aetna schneeigem Gipfel,
In deiner Scylla Geheul, deines Tivoli Fall,
Schön bist du, Italien! –
Und sie strömen herbei, die Pilger Europa’s;
Der schweigsame Brite, Rußlands goldner Sklav’,
Zierliche Frankenknaben, gelassene Deutsche,
Ungarn’s freiheitsglühend Geschlecht,
Nordlands blondhaarige Söhne;
Und sie küssen deine heilige Erde,
Und staunen dich an.
Begeisterung saugt der Dichter von deinen Brüsten,
Farben der Maler von deinen Fluren,
Formen der Bildner aus deinen Gestalten;
Und Ein Schrei steigt von allen Lippen:
„Ein Himmel, Ein Italien!“ –
Ich aber in schweigender Zelle
Bei mitternächtlicher Ampel, einsam,
Ich wende seufzend die Blätter,
Die mir sagen, wie du schön bist;
Ich wende schaudernd die Blätter
Deiner Vergangenheit; von Roms Grundstein,
Der Remus’ Blut getrunken; von Sulla’s
Aechtungen, Oktavianus Aechtungen,
Nero’s Greueln, Domitians Wüthen,
Caligula’s Wahnsinn: – von den rauchenden Wellen
Eines Meeres von Verbrechen und Blut!
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Hörst du den Donner des Herrn? hörst du
Sein Urtheil? – Thränen für Blut! –
Sündfluth der Völker wälzet sich brausend
Ueber dein blühend’ Gefild
Fort und fort. Du, die Herrscherin
Einer eroberten Welt, beugest dich,
Dienstbar den Fremden, als Magd
Unwillig, flüchtige Freiheit kostend; doch immer
Gezwängt von Neuem ins Joch, weil niemals
Du einig, immer zersplittert,
Nie Ein Athem, Ein Pulsschlag, Ein Leben,
Nie Ein Volk, Ein Italien! –
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Und dennoch – Heil dir, Italien! –
Steht an den Blättern des Weh’s
Der Seegen am Rande geschrieben:
Deine Griechen, dein Brutus,
Deine ewigen Künstler, dein kluger Horaz,
Dein mächtiger Dante, dein heit’rer Ariost,
Patrark und Tasso, die Sänger,
Dein Rafael, dein Buonarotti
Leonardo und der Grazien Maler,
Titiano; Cellini; Canova;
Galilei; Ganganelli, der Hohe;
Und dein Riese, der Prometheus,
Angeschmiedet an Helena’s Fels. –
Mag die Fluth dich verschlingen,
Dich verzehren die Lava deiner Vulkane,
Nimmer verdorret dein Lorbeer
Großes Italien!
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Du bist schön, Italien,
Schön in deiner Wehmuth und Trauer,
Schön in den Trümmern deiner Roma,
In deiner Pompeji rührenden Resten,
Deiner Größe Erinnerung;
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/66&oldid=- (Version vom 24.8.2025)