| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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Schön im üppigen Grün deiner Haine,
Schön im azurnen Blau deines Himmels,
In deinen Fluren nie sterbendem Frühling;
Schön im Madonnenreiz deiner Frauen,
In deiner Jünglinge Antinousschönheit. – Ja,
Du bist schön, Italien!
Du aber lächelst und sprichst:
Germanischer Träumer, was preisest du mich,
Deß Aug’ mich nie schaute? Was tadelst du mich,
Deß Fuß mich nie betreten? Schweige,
Bis mein Hauch dich umwehte,
Bis dein Aug’ mich gesehen!“
Auf halbem Weg von Turin nach Arona, vor dem mächtigen Felsthor der penninischen Alpen, anf einem Terrain, das, von Schluchten und von den Rinnsalen reißender Wildbäche durchfurcht, zur Vertheidigung geschickt ist, stand zur Zeit der Cäsaren das starke Eporea. Zwei Legionen hüteten dort die reiche, mit Städten übersäete Ebene des Po vor den Einfällen der rhätischen Bergvölker, welche das allgewaltige Rom so wenig zu zähmen wußte, als Rußland des Kaukasus heldenmüthige Söhne. Eporea, zugleich Municipalstadt und Waffenplatz, bedeckte mit seinen 2 Castren und ihren Außenwerken einen Flächenraum von mehren Miglien. Nachdem der große Geist Roms unter dem entnervenden Despotismus der Kaiser zu Grunde gegangen war, als die Muth der Barbaren die Grenzen des Reichs verwüstend und verheerend überströmte, theilte Eporea das Schicksal des ganzen Landes. Seine Vesten wurden erstürmt, die Legionen erschlagen, die Mauern gebrochen, und in den nachfolgenden Zeiten der Verwirrung erlag die Stadt mehrmals der Verwüstung durch Feuer und Schwerdt. Schon die Horden des Atila fanden Eporea als Trümmerhaufen.
Erst in der Zeit der Carolinger erstand auf den römischen Ruinen ein neuer Ort, der, anfänglich klein, wegen seiner günstigen Lage, auf dem Kreuz zweier Handelsstraßen, sich schon im neunten Jahrhundert zur Stadt erhob. Ivrea hat gegenwärtig 9000 Einwohner. Der lebendige Transit und der Handel mit Produkten der umliegenden fruchtbaren Gegend geben ihm ausreichende Erwerbsquellen.
Die Stadt, obschon häßlich, hat ein pittoreskes Ansehn. Die meisten Gebäude ruhen auf römischem Gemäuer, das die Wände der Schluchten krönt und so unverwüstlich ist, als der Fels, auf dem es steht. Brücken über die Schluchten verbinden hie und da die Häuserreihen, und steile, in den Fels gehauene Treppen führen hinab zu dem brausend und schäumend der Ebene zueilenden Bergstrom. Obschon der Sitz eines Bischofs, und mit Kirchen und Klöstern reichlich gesegnet, hat doch Ivrea kein einziges Gebäude, das wegen seiner Größe und Bauart oder um seines Kunstschmuckes willen, die Mühe des Sehens oder Beschreibens lohnte; aber auf jedem Schritt gewahrt man die Fußtapfen der alten Weltbezwingerin. Das Blut der Römer und Barbaren hat jede Hand voll Erde
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/67&oldid=- (Version vom 24.8.2025)