| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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Streit, oder sie vertagt ihn, schaart sich, wie ein wohldressirtes Heer, unter das gemeinschaftliche Banner und sucht in der Uebung der strengsten Mannszucht ihre Ehre. –
Die Kraft der Parteien ruht in Amerika nicht, wie in der alten Welt, in bevorzugten Ständen, die gegen die rohe Masse des Volks eine kleine Minorität bilden. Der Einfluß der wenigen Beamten, der Kapitalisten, der größern Arbeitsgeber und Fabrikanten zählt nichts gegen die Masse unabhängiger, wenig bemittelter Bürger, deren Stimmgebung in der durch’s ganze Volk verbreiteten politischen Intelligenz die rechte Gewähr ihrer Selbstständigkeit und ihres Werthes empfängt. Das Volk der Unien ist in seiner ungeheuren Mehrzahl ein ackerbauendes Volk und wird es, so lange jeder Tagelöhner für den an seinem Wochenlohn ersparten 1¼ Dollar einen Acre des besten Bodens als Eigenthum erwerben kann, auch bleiben. Jeder Tag- und Fabrikarbeiter wird gemeinlich in ein Paar Jahren zum unabhängigen Landwirth, und von hundert Einwanderern werden es ohnedies 80 oder 90 sogleich. Die Zahl der Landwirthe muß also in viel größerer Proportion beständig fortwachsen als die Zahl der andern Stände, folglich in gleichem Verhältniß der politische Einfluß jener. Der amerikan. Landwirth ist sich dieses Verhältnisses vollkommen inne. Er fühlt seine Vollmächtigkeit – er ist sich bewußt, daß in seiner Gesammtheit der Schwerpunkt des Volkslebens ruht – und mit gerechtem Stolze empfindet er den Ruhm und daß Gedeihen der großen Republik als Etwas, das ihm eigen angehört und zu dessen Förderung und Erhaltung er beständig beizutragen verpflichtet ist. Daher nimmt er an allen öffentlichen Angelegenheiten lebendiges Interesse. Ganz der Gegensatz von unserm Bauer, der in der Regel von nichts angeregt wird, was außerhalb seines Stalls und seiner Flur vorgeht, sofern es nur seinen Beutel unberührt läßt, ist der amerikanische Landwirth (der Farmer) mit Leib und Seele Politiker. Er findet den Begriff seiner bürgerlichen Ehre darin, sich um die öffentlichen Angelegenheiten seines nähern und weitern Vaterlandes zu bekümmern, alle darauf Bezug habenden bürgerlichen Pflichten auf das Eifrigste und Gewissenhafteste zu erfüllen und zu dem Zwecke und zur Schärfung seines politischen Verstandes und Urtheils, sich in jeder zugänglichen Weise zu unterrichten. Sobald der Amerikaner sich auf seiner Farm eingerichtet und für die ersten Bedürfnisse des physischen Lebens gesorgt hat, abonnirt er auf eine, seine politische Meinung vertretende, Zeitung, bestellt wohl auch eine zweite von entgegengesetzter Richtung, um sich über die Bestrebungen feindlicher Parteien zu orientiren, und er würde sich für einen schlechten Bürger halten, wenn er sich um alle Verhältnisse seiner Township (seiner Gemeinde) nicht eben so eifrig bekümmerte, als um seine eigenen Angelegenheiten. Er fehlt bei keiner Gemeindeversammlung, wählt die Ausschußmitglieder für das Schulwesen, für Straßen- und Brückenbau; er wählt die Friedensrichter und andere Beamte; und mit den Funktionen und Pflichten eines jeden macht er sich um so gewisser und eifriger vertraut, da er beständig zu gewärtigen hat, selbst einen oder mehre Posten des mitbürgerlichen Vertrauens bekleiden zu müssen: denn alle werden durch freie Wahl, ohne Mitwissen,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/79&oldid=- (Version vom 25.8.2025)