| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
|
|
der Nation bekannt. Man mag ihn in Ohio, New-York, oder in Massachussets für einen großen Mann halten; in der Union nimmt man erst Notiz von ihm dann, wenn sein Name bei der Wahl der Kongreßdeputirten auf der Kandidatenliste steht; es wäre denn, er stehe seinem Staate als Gouverneur vor, oder er habe sich in irgend einer großen nationalen Angelegenheit in einer Weise hervorgethan, welche der allgemeinsten Beachtung nicht entgehen konnte.
So erklärt es sich, warum fast nur Männer reiferen Alters die Schwelle der Repräsentantenhalle des Kapitols überschreiten; denn der Weg dahin ist kein Weg des Wahlprivilegiums; es ist ein langer, saurer Weg der Arbeit und persönlichen Opfer, auf dem das Haar wohl ergrauen mag. Es ist auch kein Weg für Leute, die, wie in manchen Ständekammern, Opposition machen gegen die Regierung, nur um recht bald in die Regierung, oder an die vollgestopfte Raufe zu kommen; auch nicht für Leute, die heute Ja und morgen Nein sagen in derselben Frage, je nach dem der Wind geht, und welche die Fahne ihrer Partei wechseln wie ein Kleid. Solche können in der Kongreßhalle des Kapitols so wenig zu finden seyn, als die Clays und Adams, die Jeffersons und Franklins im Repräsentantensaale Soulouque’s oder Napoleons III. –
Eiserne Charakterfestigkeit und unerschütterliche, hart- und langgeprüfte Ueberzeugungstreue sind zur Kandidatur für das Repräsentantenhaus der Union unerläßliche Eigenschaften, ohne welche es gar nicht möglich ist für einen Mann, und wäre er reicher als Crösus und glorioser als Cäsar, nur vorgeschlagen zu werden. Streng mit der freigewählten Partei zu gehen, und unter keinem Verhältniß von ihr zu weichen, gilt als das Unerläßliche eines ehrenhaften republikanischen Charakters. Darum ist der Amerikaner als Parteimann zuverlässig; und daß er es ganz sey, wird bei jeder Kandidatur zum Kongreß unbedingt vorausgesetzt. Ein Mann, der seine Parteifahne verläßt, ist allemal und für alle Zeiten ein verlorner Mann. Er würde, und hätte er übrigens die glänzendsten Eigenschaften des Staatsmanns und die größten Verdienste des Bürgers, nie wieder auf einer Kandidaten-Liste erscheinen, – er wäre unfähig der Ehre, auch nur Dorffriedensrichter zu werden.
Hat nun der Ehrgeizige und Patriot, wie man zu sagen pflegt, „den Sprung auf die Platform gewagt“ – d. h. ist er von seiner Partei zum Repräsentanten seines Staats im Kongreß vorgeschlagen und öffentlich auf die Kandidaten-Liste gestellt, dann hat er „das läuternde Höllenfeuer“ zu bestehen – d. h. er wird die öffentliche Zielscheibe der Geschosse der Gegenpartei, die um jeden Preis seine Erniedrigung in der Meinung und in der Wähler Achtung erstrebt, um ihn aus dem Wege zu räumen und dagegen ihrem eigenen Kandidaten den Sieg in der Wahlschlacht zu bereiten. Da ist keine Tugend zu rein und keine Charaktergröße zu erhaben für die Pfeile, mit denen die Verleumdung die Edelsten und Besten zu verwunden trachtet. Man deckt schonungslos die innersten Falten des Privatlebens auf, die Lüge legt ihre Basiliskeneier hinein, es bleibt an dem Ehrenmann kein gutes Haar – und von den
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/81&oldid=- (Version vom 26.8.2025)