| Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band | |
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auf kürzestem Wege, stellt, ohne Heuchelei und ohne Verlarvung, das amerikanische als das eigene Interesse stets keck in den Vorgrund und kümmert sich wenig oder nichts um das Urtheil und die Ansichten der übrigen Welt. Sie ist sich der Machtstellung ihrer Nation vollbewußt und vom Vorgefühl durchdrungen, sie sey zur Erlösung der übrigen Welt von Alleinherrschaft und Absolutie, wenn nicht zur Weltherrschaft berufen. Dies macht sie stolz, ruhmredig, herausfordernd; sie setzt sich hinweg über die konventionellen Schranken der Sitte und der Höflichkeit, ja, sie findet viele Formen der europäischen Gesellschaft ungenießbar oder lächerlich. Freier, offener, großmüthiger, weitherziger als der Whig, gilt dem Demokraten die Demokratie selbst als das Höchste, als das dem Staate, wie dem Bürger, Ersprießlichste; er macht mit Eifer und Hingebung Propaganda für seine Partei und ihre Grundsätze nicht weniger um ihrer selbst, als um seines Vortheils willen. Ja, er würde den Demokraten selbst dem Amerikaner vorausstellen, wenn er sich beide nicht als Eins dächte: jedenfalls stellt er den Gentleman beiden nach. Unter der Fahne der Demokratie schaaren sich viele der größten Talente, die feurigsten, fähigsten Köpfe, die reichten, edelsten Geister; aber auch die rohesten der Volkselemente und der ganze Janhagel der Union. Ihr gehören all die Abenteurer und Tollköpfe, welche durch Dünn und Dick gehen, ohne viel nach Recht und Gesetz zu fragen; in ihrem Schooße werden die Pläne geboren für Krieg und Eroberung auf eigene Faust; dort brüten die Geister die Wiedergeburt des Flibustierwesens aus, um fremde Länder mit tollkühnen Freischaaren zu ergattern; dort rathet die permanente Verschwörung bei hellem Tage, welche das Feuer des Aufstandes schürt überall, wo sie Brennstoff aufgehäuft, Unterdrückung und Knechtschaft findet. – Aber beide Parteien – Demokraten und Whigs, – sind patriotisch durch und durch; und so verschieden auch ihr äußeres Wesen sich kund gebe in vielen Dingen, – so stehen doch beide unabänderlich und unerschütterlich auf demselben Boden: der Unionsverfassung. Ueber wirklich fundamentale Dinge ist zwischen ihnen kein Streit, keine abweichende Meinung berührt das Leben des Gesammtstaats, – die Verfassung gilt der einen, wie der andern Partei als ein heiliges, unantastbares Gut, und wo immer in der Hitze des Streits die eine aus dem rechten Geleise weichen will, wird sie von der allmächtigen öffentlichen Meinung alsbald in dasselbe zurückgeführt. Es ist gleichsam ein Dogma in dem politischen Glauben aller Amerikaner ohne Unterschied, daß die Unionsverfassung die Mutter und Quelle ihrer beispiellosen Wohlfahrt, ihres Wachsthums, ihrer Größe und Macht sey, durch welche sie die Völker und Fürsten der alten Welt mit Erstaunen, Hoffnung und Furcht erfüllen. Wenn alle Parteien in tödtlichem Hader unter einander befangen scheinen, vereinigt sie der Ruf: „The Constitution for ever!“ unfehlbar wieder. – Das eben unterscheidet das amerikanische politische Leben so vertheilhaft von jenem in den europäischen konstitutionellen Monarchien, in welchen, sey es von den Fürsten, sey es von den Landständen, auf eine
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band. Bibliographisches Institut, [Hildburghausen] [1852], Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_15._Band_1852.djvu/84&oldid=- (Version vom 26.8.2025)