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Seite:Meyers Universum 15. Band 1852.djvu/87

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breiten Mund und die hochgewölbte Stirn kennzeichnet den fertigen Denker und den umfassenden Geist. Webster ist’s, der Minister des Auswärtigen. Er rechtfertigt die Handelsweise der Regierung in einer glänzenden Rede aus dem Stegreife; er äußert sich über die internationalen Verhältnisse mit einer Freimüthigkeit und Offenheit, vor welcher die Diplomaten der alten Schule erblassen würden. – Ihm folgt ein Greis, eine hagere, ernste Gestalt, um deren Haupt ein Paar spärliche, weiße, glatt herabgekämmte Haarlocken wehen. Das ist Henry Clay, der Mann des Südens, der Nestor der großen Staatsmänner der Republik, der Freund Washingtons und Jeffersons. Der große Kentuckyer ist unstreitig das erste Rednertalent: aber mehr als das hat ihn in der Achtung seines Volks und der Zeitgenossen seine politische Weisheit, sein Patriotismus und seine seltene Uneigennützigkeit gehoben. Die Kandidatur der Präsidentenwürde lehnte Clay allemal ab. Es ist etwas Ehrfurchterweckendes in seiner Erscheinung. So müssen die strengen, großartigen Gestalten des republikanischen Roms gewesen seyn, die ruhig den Feind und den Tod auf ihren Sitzen erwarteten[1]. – Wer ist aber der lebhafte Rundkopf dort mit dem struppigten Haar und dem Knebelbart à la Haynau, der jetzt aufsteht? Scott, der Held von Buena-Vista ist’s, das erste militärische Talent der Union. Scott war bei der letzten Präsidentenwahl der Kandidat der Whig-Partei, welche, nach langem Schwanken zwischen ihm und Webster, fast alle Stimmen auf Scott vereinigte. –

Es sind der Männer noch viele im Kapitol des westlichen Roms, welche der Amerikaner mit Stolz seine Repräsentanten nennt; aber was nützte es, wenn ich sie Euch alle zu zeigen wüßte! Nicht die einzelnen Menschen sind’s, die unser tiefes Interesse erregen; das Große ist’s, die Gesammtheit, wie es die aufgehende Sonne, nicht der einzelne Lichtstrahl ist, was und entzückt: – die Sonne, welche den jungen Tag weckt, das Treiben des Lenzes schafft und unser Gefühl zur Bewunderung des Schöpfers und zur Anbetung leitet. –

Wer ist’s, der sich der Theilnahme wird enthalten können, wenn er unbefangen vor diesem Staatsbau steht, wo die Ebenbürtigkeit unter allen seinen Bürgern waltet, wo aller Unterschied der Stände aufgehört hat, wo alles Vorrecht dem Verdienste gewichen ist, wo die Selbstregierung der Gemeinde Wahrheit ist und ein Fundament der Selbstregierung für den ganzen Staat? – Wer kann sich des Beifalls enthalten bei Betrachtung eines Staatsgebäudes, das der Instinkt der Freiheit und Vernunft aufgeführt hat mit einer Einfachheit und Folgerichtigkeit, die nicht vollkommener gedacht werden kann? eines Staatsgebäudes, sage ich, we keine Spur zu finden ist von einem besondern Recht und Privilegium, wo kein einheitlicher Bundesstaat durch Centralisation die Freiheit würgt, sondern ein Staatenbund besteht, in welchem das Streben jedes Einzelstaats, seine Souveränität neben der Obergewalt


  1. Webster und Clay sind seitdem beide geschieden, und noch trauert das Volk um die großen Bürger.