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Seite:Meyers Universum 7. Band 1840.djvu/107

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hoch), von dem man eine unermeßliche Aussicht über Holstein bis in’s Meer, in’s Lauenburgische, Hannover’sche und aber die Wälder Mecklenburgs genießt; das Theater, eines der größten Europa’s; das uralte Rathhaus; das Waisenhaus für die Erziehung von 600 Kindern, und das große Krankenhaus, für die Aufnahme von 5000 Kranken eingerichtet, eine der größten, am zweckmäßigsten und am reichsten fundirten derartigen Anstalten in der Welt. Die neue Börse wird eine Zierde der Stadt werden, und die Börsenhalle, welche für Hamburg das ist, was London in Lloyd’s Kaffeehaus besitzt, läßt kein Fremder unbesucht. Er findet daselbst alle, Handel und Schifffahrt angebenden, neuesten Nachrichten vereinigt, stets Geschäftsleute aus allen Völkern und Ländern und die wichtigsten Journale, die in irgend einer Sprache erscheinen. Sammlungen für Kunst und Literatur, von denen einige bedeutend find, befinden sich in Privathänden; sind aber schwer zugänglich; das Röding’sche Museum verdient den Namen kaum und andere öffentliche sind nicht vorhanden.

Das Leben in Hamburg ist genußreich und das der höhern Classen üppig. Daß die sinnliche Seite überwiege, wird wenigstens allgemein behauptet. In der Zeiteintheilung folgt der Hamburger der Gewohnheit der Britten, die den Geschäften am meisten zusagt. Er steht spät auf, genießt Mittag ein substantielles zweites Frühstück (gewöhnlich aus Wein, frischem Brode, kaltem Geflügel, Fischen etc. etc. bestehend) und dinirt um 4 Uhr Nachmittags mit vollem Genuß. Für viele Geschäftsleute ist dann das Tagewerk vorüber und die übrige Zeit gehört dem Vergnügen, welches, namentlich an der Hand der Jugend, oft im Gewande des Rohen und Gemeinen erscheint. Für die vielen Tausende von fremden jungen Leuten, welche die Contore bevölkern und oft bedeutende Einkünfte haben, sich aber außer den Arbeitsstunden selbst überlassen sind, ist Hamburg gemeiniglich ein Grab für Gesundheit und Sittlichkeit.

Der Menschenschlag ist, was den gebornen Hamburger anlangt, eben nicht schön. Die Gesichter sind breit, flach, mit dem Ausdruck der Gutmüthigkeit; aber ohne jenen geistigen Reiz, der die Schönheit der Formen ersetzt. Selten trifft man hohe schlanke Gestalten; und findet man sie, so gehören sie Ausländern an. Sorge, Arbeit, Leidenschaften, – kurz, der Typus einer merkantilischen Bevölkerung, – ruht auch auf dieser. Der ernste Charakter der Hamburger ist ihm angemessen. Man genießt das Leben hier viel zu früh und viel zu unmäßig; Ueberdruß und die Sorge der Geschäfte theilen sich in das männliche Alter. Der Hamburger ist arbeitsam, brav von Gesinnung, häuslich; aber für die feineren Freuden des Lebens stirbt er bald ab und – rafft er sich auf zum Genuß, so sucht er häufig den groben der Sinne. Das ist die Folge der Verkümmerung der Jugend, welche hier, in den höhern Classen zumal, gar schnell verblüht. Selten sieht man unter den jungen Leuten ein frisches, volles, seelenheiteres Gesicht; desto häufiger aber runzlichte, welke, greisenhafte Gestalten mit dem Hohn und der Verzweiflung der Sünde im matten Blicke. In den niedrigern Ständen tritt die Jugend, ihrer äußern Erscheinung nach, weniger widerlich auf, obschon auch da grobe Genußsucht und Unsittlichkeit häufig verderblichen Einfluß üben. –

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/107&oldid=- (Version vom 28.10.2024)