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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10

soll, hat sich nur in wenigen Ausnahmefällen bewährt, in der Regel traten binnen kurzem Störungen ein, welche die Einstellung des Betriebs zur Folge hatten. Ganz aussichtslos erscheint nach allen bisherigen Versuchen besonders die Idee der Personenbeförderung mit Straßenlokomotiven, wie als jüngstes Beispiel die Bolléeschen Dampfwagen lehren, welche es trotz ihrer höchst sinnreich erdachten Details nur bis zu Probefahrten brachten und dann verschwanden. Die Gründe für diese Thatsachen liegen in mehreren Umständen: Die Lastzug-Straßenlokomotiven nutzen die Wege sehr stark ab und beschädigen sie häufig, sind im Verhältnis zu den aufgewendeten Kosten wegen der im Vergleich zu Eisenbahnen hohen Widerstände der Wege zu wenig leistungsfähig und versagen auf schlüpfrigem Boden oft gänzlich ihren Dienst, indem die Räder gleiten und selbst die Anwendung von Vorsteckeisen in den Radkränzen keine günstigern Resultate herbeiführt. Sie sind ferner, namentlich in den Kesselteilen, sehr schneller Abnutzung unterworfen; das Schiefstellen der Maschine auf abschüssigen Wegen verändert das Wasserniveau im Kessel in nachteiligster Weise, so daß zuweilen sogar ein Bloßlegen einzelner feuerberührter Kesselplatten vom Wasser stattfindet. Auch sind die Gefahren, die bei dem geringsten Versehen des Wagenlenkers diesem samt etwanigen Passagieren sowie dem Straßenpublikum drohen, nicht zu unterschätzen. Selbst wenn diese geschilderten Übelstände nicht zu sehr hervorgetreten sind, hat sich doch stets infolge der hohen Anschaffungs-, Betriebs- und Unterhaltungskosten die Rentabilität als sehr zweifelhaft erwiesen.

Die Anordnung einer Straßenlokomotive von Aveling u. Porter in Rochester, welche sowohl als Lastzugmaschine wie als Motor einer Dampfdreschmaschine eingerichtet ist, zeigt Fig. 3 der Tafel. Die äußere Anordnung ist die einer gewöhnlichen L.; der Betrieb auf die Hinterachse der Fahrräder erfolgt mittels (aus der Zeichnung nur zum kleinen Teil ersichtlicher) Zahnrädervorgelege von der Schwungradwelle der Dampfmaschine aus, das Einsteuern des Vorderwagens mittels einer Kettentransmission vom Führerstand. Um ein Einsinken der Maschine zu verhüten, sind die Hinterräder außerordentlich breit und hoch sowie an ihrem Umfang mit schräg gestellten Eisenplatten bekleidet, welche ein sicheres Eingreifen in den Boden bewirken sollen. Die Dampfmaschine ist selbstverständlich mit einer Umsteuerung, gewöhnlich der Stephensonschen Kulisse (s. Lokomotive und Steuerung), versehen, um vor- und rückwärts fahren zu können. Eine Straßenlokomotive von Thomson in Edinburg, speziell zum Transport von Lasten, ist in Fig. 4 der Tafel dargestellt. Das Gestell ruht auf drei Rädern, von denen das vordere als Steuerrad dient. Zwischen den Hinterrädern ist der vertikale Röhrenkessel montiert, bei welchem ein sehr beträchtliches Sinken des Wasserstandes eintreten kann, ohne daß hieraus ein Nachteil resultiert. Die Dampfmaschine ist an dem Kessel befestigt und treibt mittels Zahnradvorgelege die Hinterräder. Die Radkränze derselben sind mit starken Gummiplatten belegt, wodurch ein sicheres Eingreifen in den Boden bewirkt, also ein Gleiten der Räder verhütet werden soll. Es hat sich jedoch ergeben, daß der Vorteil dieser Anordnung nur ein scheinbarer ist. Die Verwendung von nur drei Fahrrädern statt der üblichen vier erzielt zwar eine sehr leichte Lenkbarkeit des Wagens, vermindert jedoch dessen Stabilität. Bollée hat nun bei seinen Dampffuhrwerken mit vier Rädern durch einen sinnreichen Mechanismus einen gleichen Grad der Lenkfähigkeit ohne Einbuße an Stabilität erreicht. Er hat nämlich

Fig. 9.
Betrieb einer Dreschmaschine durch die Lokomobile.

jedes der beiden zum Lenken bestimmten Vorderräder für sich um eine vertikale Achse drehbar gemacht und gestattet außerdem durch ein Differentialräderwerk den beiden am hintern Wagenende angebrachten Triebrädern, sich beim Befahren von Kurven mit einer den beiden verschiedenen Weglängen entsprechenden ungleichen Geschwindigkeit zu drehen. Die Bolléeschen Dampffuhrwerke sind in drei Formen ausgeführt, als Dampfkalesche (Dampfdroschke, Dampfkabriolett) für 4–6 Personen, als Dampfomnibus für 14 Personen und als Lastzug-Straßenlokomotive zum Transport von Gütern. Von diesen hat die letztere noch die meisten Aussichten auf praktische Verwendbarkeit, besonders für Kriegszwecke. Sie schleppt ihre Lasten in angehängten Wagen nach sich, deren Räder vermittelst gelenkig verbundener Längswellen und konischer Rädergetriebe derart mit der Hauptwelle der Lokomotive verbunden sind, daß sie alle als Triebräder dienen, eine Vorrichtung, vermöge deren es möglich ist, bei voller Belastung Steigungen von 1 : 20 zu überwinden. Bei einer Stärke der Maschine von 40–80 Pferden ist die Lokomotive, gute Straßen vorausgesetzt, im stande, einen Zug von 5–6 Wagen mit 10,000 kg Wagenbelastung pro Stunde 10–15 km weit zu befördern, wobei der Kohlenverbrauch sich auf 10–20 kg, der Wasserverbrauch auf 50–100 kg beläuft.

Die Idee, Straßenlokomotiven zu bauen, ist sehr alt. Schon um 1770 machte Robinson Versuche, und 1785 baute Murdach einen Dampfwagen, der mit 12,8 km pro Stunde gelaufen sein soll. Seit jener

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 884. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b10_s0884.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2023)