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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11

der innern Reibung der Flüssigkeit teilt sich dieser Bewegungsimpuls nach der Tiefe hin mit. Wie in neuerer Zeit Zöppritz nachgewiesen hat, ist dieser Fortpflanzung der Bewegung nach der Tiefe hin keine Grenze gesetzt, und wenn der Wind nur lange genug anhält, so gerät allmählich die ganze Wassermasse in Bewegung, bis ein stationärer Zustand erreicht ist, bei welchem von der Oberfläche nach der Tiefe eine stetige Geschwindigkeitsabnahme bis zum Ruhezustand am Grund besteht. Freilich sind ungeheure Zeiträume erforderlich, um eine tiefe Wasserschicht in einen solchen Bewegungszustand zu versetzen, in 100 m Tiefe würde erst in 239 Jahren die halbe Oberflächengeschwindigkeit erreicht sein, und 200,000 Jahre stetig wehenden Passats wären erforderlich, um einen 4000 m tiefen Ozean in den stationären Bewegungszustand

Fig. 2. Temperaturverteilung in dem unterseeisch abgeschlossenen Meeresbecken der Sulusee. (Messungen des Challenger Okt. 1874.)

zu versetzen. Aber ebenso langsam, wie die Bewegung eindringt, wird sie auch abgegeben; zeitweilige Windänderung beeinflußt nur die oberste Schicht, und die mittlere Windrichtung bestimmt die allgemeine Wasserbewegung in dem betreffenden Meeresgebiet. So finden wir im Bereich der Passatwinde die regelmäßigsten Strömungen nach W. gerichtet, im Bereich der vorherrschenden Westwinde schwächere Ostströmungen (man bezeichnet Strömungen allgemein nach der Richtung, nach der sie hinströmen). Im Bereich der Monsune, also der halbjährlich ihre Richtung wechselnden Winde, aber beobachtet man in Übereinstimmung mit der Windtheorie im allgemeinen alternierende Strömungen. Wo die Strömungen die Küste treffen, verzweigen sie sich, dem Lauf der Küste folgend, und wo zwei einander entgegengerichtete Küstenströme sich treffen, vereinigen sie sich zu einem von der Küste fortfließenden Strom. Von Bedeutung für die Theorie der Meeresströmungen ist ferner der Einfluß der Erdrotation. Dieser Einfluß äußert sich in einer Ablenkung des Stroms nach rechts auf der nördlichen, nach links auf der südlichen Halbkugel, sobald die direkte Erregungsursache zurücktritt. In hohen Breiten nimmt der Einfluß der Erdrotation zu und gibt sich deutlich daran zu erkennen, daß Strömungen, welche das Land zur Rechten (auf der nördlichen Halbkugel) haben, sich an die Küste dicht anlehnen, während umgekehrt diejenigen, welche das Land zur Linken haben, von demselben abschwenken. Dem entsprechend findet man in hohen Breiten (über ca. 40°) an den Westküsten warme, an den Ostküsten kalte Strömungen, während in niedern Breiten unter dem Einfluß der Passate und der Westwinde und dem Gesetz der Stromverzweigung entsprechend an den Westküsten kalte, dagegen an den Ostküsten warme Strömungen angetroffen werden. Diese Verhältnisse machen die Meeresströmungen zu einem wichtigen Faktor bei den klimatischen Verhältnissen der Kontinente. Über die Einzelheiten betreffs des Verlaufs der Meeresströmungen vgl. die einzelnen Ozeane.

Während so der große Kreislauf der ozeanischen Strömungen sich auf gemeinsame Ursachen zurückführen läßt, müssen für die Erklärung von Strömungen in begrenzten Meeresbecken noch andre Verhältnisse in Betracht gezogen werden. Zuweilen ist es der Unterschied im spezifischen Gewicht, welcher einen lebhaften Wasseraustausch zwischen dem Ozean und den Binnenmeeren zur Folge haben kann. Über einem Unterstrom dichtern Wassers findet sich dann ein entgegengerichteter Oberstrom leichtern Wassers von geringerm Salzgehalt. So fließt das stark verdünnte Ostseewasser an der Oberfläche aus über einem eingehenden salzhaltigern Unterstrom. Beim Mittelmeer dagegen wird ein starker eingehender Oberflächenstrom in der Straße von Gibraltar bemerklich, und ebenso ist dort ein salzhaltigerer Unterstrom in entgegengesetzter Richtung nachgewiesen.

Die Geschwindigkeit der Meeresströmungen im offenen Ozean übersteigt kaum jemals 80 Seemeilen in 24 Stunden (1,7 m in der Sekunde), erreicht also nicht die mittlere Geschwindigkeit des Rheins bei Koblenz (1,9 m pro Sek.) oder der Donau bei Wien (1,8 m pro Sek.). In Meerengen und namentlich da, wo Ebbe und Flut oder große Flüsse mitwirken, sind allerdings vereinzelt Stromgeschwindigkeiten von 6–8 Seemeilen in der Stunde (3–4 m pro Sek.) beobachtet. Die großen äquatorialen Meeresströmungen weisen eine mittlere Geschwindigkeit von 10–20 Seemeilen in 24 Stunden auf.

[Meereswellen.] Die Meereswellen, welche vom Wind erregt werden, erlangen im offenen Ozean, wo die Wassertiefe ihre freie Entwickelung nicht hemmt, sehr bedeutende Dimensionen. Nach den Versuchen im kleinen teilt sich die Wellenbewegung bis in Tiefen mit vom 350fachen der Wellenhöhe. Eine 10 m hohe Welle (vom höchsten Punkte des Wellenbergs zum niedrigsten Punkte des Wellenthals gemessen) würde also in flacherm als 3500 m tiefem Wasser schon durch Reibung am Grund beeinträchtigt werden. Damit hängt dann auch zusammen, daß selbst im Südlichen Ozean in dem Gebiet beständiger heftiger Westwinde zuverlässige Beobachtungen keine größern Wellenhöhen als 15 m ergeben haben. Scoresby fand dort nur 12,2 m, Wilkes bei Madeira 9,7 m, Cialdi gibt als Maximum 10,4 m (bei der Insel Ouessant). Über die Länge (von Kamm zu Kamm gemessen) gehen die Angaben stark auseinander, unter dem direkten Einfluß eines Orkans erreichen die Wellen eine beträchtliche Steilheit, aber das 10fache der Höhe wird wahrscheinlich stets überschritten. Man hat Wellenlängen von 400 m in der Bucht von Viscaya, von über 800 m am Äquator gemessen.

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b11_s0415.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)