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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11

Veranlassung als die Injektion; beides, so nützlich und unersetzlich es in Krankheiten sein kann, sollte unter keinen Umständen ohne ärztliche Verordnung und Aufsicht zulässig sein. Zu spät unternommene Versuche zur Entwöhnung vom Morphiumgenuß sind wegen der dabei sich einstellenden schweren Allgemeinerscheinungen, Angst, Unruhe, Selbstmordgedanken, schmerzhaften Empfindungen im ganzen Körper, Atembeschwerden und Herzbeklemmung, stets nicht bloß außerordentlich schwierig und gewöhnlich nur in einer Anstalt unter beständiger strengster Bewachung durchführbar, sondern nach sehr langem und reichlichem Gebrauch des Morphiums mitunter ganz unmöglich. Vgl. über Morphiumsucht die Schriften von Levinstein (3. Aufl., Berl. 1883), Erlenmeyer (3. Aufl., Neuwied 1887), Burkart (Bonn 1880 u. 1882), Konst. Schmidt (Neuwied 1887).

Morpho, s. Neoptolemus.

Morphologīe (griech.), die „Lehre von der Gestalt“ der Naturwesen, sowohl im Ganzen als in ihren Teilen oder Organen und ihrer Entwickelung. Da die Formen der Organe und des ganzen Organismus durch die Lebensweise bedingt werden, so haben einige neuere Naturforscher die M. als eine Unterabteilung der Physiologie auffassen wollen, was aber nicht statthaft ist, da viele Gestaltungsverhältnisse nicht bloß durch die gegenwärtige Lebensweise, sondern auch durch die der Vorfahren bestimmt werden, indem selbst Organe, die physiologisch nicht mehr fungieren, doch morphologisch noch auftreten und durch Vererbung erhalten werden. Die wichtigsten der hier in Betracht kommenden Verhältnisse sind die der homologen Bildungen, die durch Blutsverwandtschaft, wenn auch in entfernten Graden, bedingt werden, und ihre Unterscheidung von den analogen Bildungen, den durch Gewöhnung an eine gleichartige Lebensweise erlangten übereinstimmenden Formverhältnissen. So sind die vordern Gliedmaßen der Vierfüßler und Vögel trotz ihrer sehr verschiedenen Gestaltung homologe Bildungen, die Flügel der Fliegen, Vögel und Fledermäuse aber untereinander nur analoge Bildungen als Anpassungen an das Luftleben. Die wissenschaftliche Behandlung der M. fällt den Gebieten der Entwickelungsgeschichte und vergleichenden Anatomie zu und bildet die Grundlage der Systematik und Verwandtschaftslehre der Organismen.

Morphon, s. Individuum.

Morphy, Paul, berühmter Schachspieler, geb. 22. Juni 1837 zu New Orleans, ist seit 1857 Rechtsanwalt daselbst und hat sich schon seit seinem zehnten Jahr, in welchem Alter er einen bedeutenden europäischen Meister im Schachspiel, Löwenthal, bei dessen Durchreise durch New Orleans besiegte, durch viele Triumphe auf den nordamerikanischen Schachkongressen sowie in den Jahren 1858–60 in Europa (in Paris gegen Harrwitz und Anderssen) bekannt gemacht. Seit 1867 übt er das Schachspiel nicht mehr aus; später wurde er geisteskrank und starb 11. Juli 1884 in New York. Vgl. M. Lange, Paul M. (2. Aufl., Leipz. 1880).

Morpĭo, Filzlaus.

Morr. et Dne., bei botan. Namen Abkürzung für Ch. F. A. Morren, geb. 1807 zu Gent, gest. 1858 als Direktor des botanischen Gartens in Lüttich. Japanische Pflanzen. – Dne., s. Decaisne 2).

Morra, Spiel, s. Mora.

Morray (spr. mórä), James Stuart, Graf von, natürlicher Sohn Jakobs V. von Schottland und der Margarete, Tochter des Lords Erskine, geb. 1531, erhielt im siebenten Jahr, von seinem Vater für den geistlichen Stand bestimmt, das Priorat von St. Andrews, ward aber nach dessen Tod von seiner Mutter nach dem Schloß Lochleven mitgenommen und in deren ehrgeizige Pläne gezogen. 1548 begleitete er seine Halbschwester, die sechsjährige Königin Maria Stuart, nach Frankreich. Nach Schottland zurückgekehrt, trat er zur protestantischen Partei über und spielte infolge des Vertrauens, das die jugendliche Königin ihm schenkte, in Schottland eine bedeutende Rolle. Hauptsächlich auf seinen Rat suchte Maria, 1561 nach ihrem Reich zurückgekehrt, ein erträgliches Verhältnis zu Elisabeth anzubahnen. Er behielt die Leitung der Geschäfte zunächst in seinen Händen, trat der Königin aber, als sie sich 1565 mit Darnley vermählte und nun eine mehr katholische Politik verfolgte, offen entgegen und wurde infolgedessen mit andern protestantischen Lords zur Flucht nach Frankreich genötigt. Nach Darnleys Ermordung und Marias Vermählung mit Bothwell kehrte M. nach Schottland zurück und wurde nach Marias Gefangennahme und Abdankung 1567 zum Regenten des Landes für den jungen Jakob VI. ernannt. An Marias Katastrophe hatte er einen sicher nachweisbaren Anteil nicht gehabt; als sie aber aus ihrer Haft entfloh, eilte er mit 6000 Mann herbei und zerstreute ihren Anhang 13. Mai 1568 zu Langside, worauf die Königin nach England floh. Auf den Konferenzen von York und Westminster suchte er die Schuld seiner Schwester an der Ermordung Darnleys nachzuweisen und war mit der Gefangenhaltung derselben durch Elisabeth ganz einverstanden. Er wurde 23. Jan. 1570 aus Privatrache meuchlerisch ermordet.

Morris, William, hervorragender engl. Dichter, geb. 1834 zu London als der Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, erhielt eine vortreffliche Erziehung, studierte in Oxford, wandte sich der Malerei zu, ohne darin sonderliche Erfolge zu erringen, und veröffentlichte 1858 sein erstes Buch: „The defence of Guenevere, and other poems“, mit dem er sich an die damals mit Jubel begrüßten „Idylls of the king“ von Tennyson anlehnte, aber auch schon in dem Hervortreten des Stark-Sinnlichen und dem Aufnehmen fremdländischen Elements einen eignen Weg betrat. Mit mehreren Teilhabern gründete er 1863 eine Anstalt, in welcher die höchste Kunst auf die gewöhnlichsten Gegenstände des Hausrats Anwendung finden sollte. In diesem Kunstgewerbe ist M. noch immer als Zeichner thätig, und seine und seiner Freunde Bestrebungen haben in der That einen großen Umschwung im Geschmack für diese Dinge hervorgebracht. Seine nächsten Werke waren: das Epos „The life and death of Jason“ (1867, 8. Aufl. 1882) und die Dichtung „Earthly paradise“ (1868–1870, 4 Bde.; neue Ausg. 1886, 5 Bde.), welche 24 Legenden und romantische Erzählungen aus dem Altertum und Mittelalter in phantastischer Umrahmung behandelt. Beide wurden mit großem Beifall aufgenommen, und namentlich mit dem letztern, in wahrhaft dichterischem Sinn geschaffenen, an Chaucer erinnernden Werk war M.’ Stellung als eines der Häupter der jüngsten englischen Dichterschule begründet. Ein eigenartiges, gärendes Gemisch von Romantik und Klassizität, Formvollendung und Langatmigkeit, Sprachreichtum und Dunkelheit des Ausdrucks, nackter Sinnenlust und tiefen Todesgedanken charakterisiert ihn und tritt auch in der dramatischen Dichtung „Love is enough, a morality“ (1872), die den Mysterien des Mittelalters ähnelt, zu Tage. M. hat außerdem die „Äneide“ übersetzt (1876) und in Gemeinschaft mit dem Isländer Erik Magnusen verschiedene

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b11_s0813.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2022)