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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11

K. Wittmack in Altona. Durch das Reichsgesetz vom 11. Febr. 1888 sind bekanntlich die bisherigen Wehrverhältnisse in wesentlichen Punkten umgestaltet worden. Zweck dieser Umgestaltung ist, im Kriegsfall eine größere Zahl Streiter zu den Waffen rufen zu können, um dadurch die Wehrkraft des Reichs zu stärken, ohne die Friedenspräsenzstärke des Heers, welche durch Gesetz vom 11. März 1887 bis zum 31. März 1894 auf 468,409 Mann festgestellt ist, zu erhöhen. Diese Stärkung ist dadurch erreicht, daß zu der bisherigen Wehrpflicht die einer Landwehrpflicht 2. Aufgebots, welche 6 Jahre umfaßt, hinzugefügt und die Landsturmpflicht vom 42. bis 45. Lebensjahr hinausgeschoben worden ist. Es treten somit 6 Jahrgänge Landwehr, also etwa 900,000 gediente Mannschaften, der Armee hinzu. Zu dieser Maßregel ist Deutschland durch seine Nachbarstaaten gezwungen worden, in denen nach dem Krieg 1870/71 die allgemeine Wehrpflicht zur Einführung gelangte, und wo man über eine gleiche Anzahl Jahrgänge gedienter Mannschaften wie jetzt in Deutschland im Kriegsfall verfügt. Sie werden das Deutsche Reich dazu nötigen, in einem künftigen Krieg nach zwei Seiten Front zu machen. Bisher entfielen auf die 12 Jahre der Wehrpflicht 3 Jahre bei den Fahnen, 4 Jahre in der Reserve und 5 in der Landwehr; durch das Gesetz ist folgendes bestimmt: Die Dienstpflicht im stehenden Heer bleibt 7 Jahre (3 aktiv, 4 Reserve), dann folgen 5 Jahre in der Landwehr ersten und 6 in der zweiten Aufgebots, so daß der Wehrpflichtige mit dem 31. März desjenigen Jahrs, in dem er sein 39. Lebensjahr vollendet, zum Landsturm übertritt. Während das 1. Aufgebot der Landwehr nur Mannschaften umfaßt, welche durch das stehende Heer hindurchgegangen sind, treten in das 2. Aufgebot auch die Ersatzreservisten ein, welche geübt und ihrer Ersatzreservepflicht genügt haben. Die Landwehr 2. Aufgebots darf im Frieden zu Übungen und Kontrollversammlungen nicht herangezogen werden, es genügt, wenn die Meldungen behufs Kontrolle Familienmitglieder erstatten; die Auswanderung ist ohne vorherige Erlaubnis gestattet, nur ist der zuständigen Militärbehörde von der Auswanderung Anzeige zu machen. Die bisherige Einteilung in Ersatzreserve 1. und 2. Klasse ist aufgehoben. Die 2. Klasse wird fortan dem 1. Aufgebot des Landsturms zugeteilt. Der Ersatzreserve werden jährlich so viel Mannschaften überwiesen, daß mit 7 Jahresklassen der Bedarf für die Mobilmachung des Heers gedeckt ist; in erster Linie sind es die wegen hoher Losnummer, sodann die wegen häuslicher Verhältnisse, wegen geringer körperlicher Fehler etc. nicht zur Einstellung Gelangten. Die Zugehörigkeit zur Ersatzreserve dauert 12 Jahre und rechnet vom 1. Okt. des 1. Militärpflichtjahrs ab. Die Ersatzreservisten können zu den jährlichen Frühjahrskontrollversammlungen herangezogen werden und sind zu 3 Übungen verpflichtet, von denen die 1. zehn, die 2. sechs und die 3. vier Wochen dauert. Der Gestellungstag wird bis zum 15. Juli bekannt gemacht. Nach vollendetem 32. Lebensjahr sollen sie jedoch, falls nicht ein Verschulden vorliegt (Kontrollentziehung etc.), zu Übungen nicht herangezogen werden. Der Landsturm endlich besteht aus allen Wehrpflichtigen vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 45. Lebensjahr, welche weder dem Heer noch der Marine angehören. Dem 1. Aufgebot gehören alle Landsturmpflichtigen bis zum 31. März desjenigen Jahrs an, in welchem sie ihr 39. Lebensjahr vollenden, dann folgt das 2. Aufgebot bis zum Ablauf der Landsturmpflicht. Wehrfähige Deutsche, welche zum Dienst im Heer oder der Marine nicht verpflichtet sind, können als Freiwillige in den Landsturm eintreten. Der Landsturm, welcher jeder militärischen Verwendung entsprechend bewaffnet, ausgerüstet und bekleidet wird, ist keiner militärischen Kontrolle und Übungen unterworfen.

Aus den ältern Jahrgängen der Landwehr-Infanterie und -Kavallerie werden besondere Landwehrtruppenkörper formiert, während die jüngern Jahrgänge den Ersatztruppenteilen zugewiesen werden. Die Landwehrleute der übrigen Waffen werden im Krieg nach Bedarf in das stehende Heer eingereiht. Die Ersatzreserve dient zur Ergänzung des Heers bei Mobilmachungen und zur Bildung von Ersatztruppenteilen, niemals zur Aufstellung selbständiger fechtender Truppen. Der Landsturm hat die Pflicht, im Kriegsfall an der Verteidigung des Vaterlandes teilzunehmen; er kann in Fällen außerordentlichen Bedarfs zur Ergänzung des Heers herangezogen werden. Er hat somit eine erweiterte Verwendbarkeit gegen früher, wo er nur dann zusammentreten sollte, „wenn ein feindlicher Einfall Teile des Reichsgebiets bedroht oder überzieht“, gefunden. Es ist dies besonders wichtig, um Feldtruppen in der Bewachung bedrohter Küsten oder Grenzen durch Landsturm, der auch zum Etappendienst herangezogen werden soll, abzulösen und für den Feldkrieg frei zu machen. Der Landsturm 2. Aufgebots wird in der Regel in besondere Abteilungen formiert. Der Aufruf des Landsturms erfolgt durch den Kaiser, bei unmittelbarer Kriegsgefahr im Bedarfsfall durch die kommandierenden Generale, Gouverneure oder Kommandanten von Festungen, die Auflösung ordnet der Kaiser an. Mit dem Tag der Entlassung hört das militärische Dienstverhältnis der Landsturmpflichtigen auf.

Durch das Gesetz ist ferner noch bestimmt worden, daß diejenigen, welche vor dem Inkrafttreten des Gesetzes bereits aus dem Landsturm ausgeschieden sind, in denselben nicht zurücktreten, auch wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Die in dem Vorstehenden für die Landwehr und die Ersatzreserve enthaltenen Bestimmungen finden sinngemäße Anwendung auf die Seewehr und Marine-Ersatzreserve. Für die Angehörigen der Seewehr 2. Aufgebots entbindet die vorschriftsmäßige Anmusterung durch die Seemannsämter von der Anmeldung beim Bezirkskommando. Nicht seemännisch oder militärisch ausgebildete Mannschaften treten nach Ablauf der Marine-Ersatzreservepflicht zum Landsturm 1. Aufgebots über, damit wird die bisherige Bestimmung, nach welcher die Marinedienstpflichtigen, die auf der Flotte nicht gedient haben, zur Seewehr gehören, aufgehoben.

C. P. in St. Petersburg. Die Biographie von S. Kierkegaard (nicht Kirkegaard) steht an der richtigen Stelle Band 9, Seite 720.

G. Hoffmann in Glogau. Ihre Vermutung, daß die Angabe der Zahl der Volksschulen (705) im Großherzogtum Luxenburg auf einem Irrtum beruhe, ist unberechtigt. Schon 1860 betrug die Zahl der Primärschulen bei einer Bevölkerung von ca. 200,000 Seelen 526 und ist bis 1884 auf 705 gestiegen, welche von 31,162 Schülern besucht wurden. Wenn das Land auch nur in 129 Gemeinden zerfällt, so bestehen doch die meisten davon aus mehreren Wohnplätzen.




Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig.
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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 1028. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b11_s1028.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2021)