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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12

[Zum Artikel Pflanzengeographie.]

Zur Karte ‚Verbreitung der wichtigsten Pflanzengruppen der Erde‘.

Die Vegetationsdecke der Erde zerfällt in gewisse Floren- oder Vegetationsgebiete, in welchen die floristische Zusammensetzung annähernd gleichartig ist und bestimmte klimatische Analogien herrschen. Grisebach unterschied folgende Florengebiete.

1) Das arktische Gebiet umfaßt alle zirkumpolaren Länder nördlich von der Baumgrenze. Island, Spitzbergen, Nowaja Semlja, die Melville- und Parryinseln sowie Grönland gehören ganz zu diesem Gebiet. Klimatisch zeichnet sich dasselbe durch eine stark verkürzte Vegetationsperiode von 3–4 Monaten aus, die ein entwickelteres Baumleben nicht mehr ermöglicht. Die wenigen noch vorhandenen Holzpflanzen, besonders Weidenarten, zeichnen sich durch ihren ganz niedrigen oder kriechenden Wuchs aus; dagegen besitzen sie als Ersatz lange, unterirdische Stämmchen. Vorherrschend bedecken Moose, Erdflechten, Gräser, Riedgräser und alpine Stauden, im südlichen Island auch Zwergbirken und höhere Weidenarten den Boden. Die vorherrschende pflanzliche Formation ist die Tundra, deren Boden im Sommer nur bis zu einer gewissen Tiefe auftaut und an nassen Stellen von Moosen, an trocknen von Erdflechten bewohnt wird.

2) Das europäisch-asiatische Waldgebiet nimmt den größten Teil des nördlichen Asien und einen großen Teil von Europa mit Ausnahme der drei südeuropäischen Halbinseln ein. Nördlich reicht es bis zur Baumgrenze, südlich in Asien etwa bis zum 50. Breitengrad, in Europa bis zu den Mittelmeerländern. Klimatisch und pflanzengeographisch zerfällt es in mehrere Abschnitte, die in Europa als die Zone der Cerriseiche, der Kastanie, der Edeltanne, der Buche und der Eiche bezeichnet werden können. Zwischen den westlichen und östlichen Teilen des Gebiets macht sich ein starker, dem ozeanischen und kontinentalen Klima entsprechender Gegensatz geltend. Unter den Vegetationsformen herrschen bis zum 50., resp. 60. Breitengrad die Nadelhölzer, weiter südwärts die Bäume mit periodischem Laubfall vor. Unter den charakteristischen Pflanzentypen stehen die rasenbildenden Gräser und Riedgräser voran. Als eigenartige Formationen sind außer den Wäldern die Wiesen mit zusammenhängender Rasendecke, die Heiden des westlichen Europa, die steppenähnlichen Pußten Ungarns, die Erlen- und Birkenbrücher mit niedrigem Strauchwerk, die Moore mit einer Decke von Sphagnum oder von Riedgräsern und die Parklandschaften des Amurlandes und Kamtschatkas hervorzuheben.

3) Das Mittelmeergebiet begreift die drei südeuropäischen Halbinseln Spanien, Italien und Griechenland sowie die südlichen Teile der Krim, ferner die Küstenstriche Kleinasiens und Syriens, von Afrika alle nordwärts von der Sahara liegenden Länder und die Mittelmeerinseln. Es zeichnet sich klimatisch durch regenarme Sommer und milde Winter, pflanzengeographisch durch das Vorherrschen immergrüner Bäume der Oliven- und Lorbeerform aus, die dem trocknen Klima am besten angepaßt erscheinen; von laubabwerfenden Bäumen kommen unter andern die echte Kastanie, mehrere Eichenarten, die Silberlinde, die Platane vor. Von wichtigen aus Asien eingeführten Kulturbäumen sind die Zitrone, die Orange, der Mandel-, Granat-, Maulbeer- und Feigenbaum zu nennen. Von Palmen ist nur die Zwergpalme einheimisch, während die besonders in Unteritalien und an den südspanischen Küsten wachsende Dattelpalme durch Kultur an das Mittelmeer gelangt ist. An warmen Felsküsten haben sich zwei aus Amerika stammende Einwanderer, der Feigenkaktus (Opuntia fieus indica) und die Agave (Agave americana), angesiedelt. Charakteristisch für die Vegetation des Mittelmeergebiets sind die aus Ginsterarten, Cistrosen und Eriken gebildeten dürren Gesträuchdickichte, die sogen. Maquis, und die mit Kräutern oder Halbsträuchern bedeckten Matten. Auf den Kulturflächen werden besonders Weizen, Mais, Wein, in der künstlich bewässerten Lombardei auch Reis, in Unteritalien Baumwolle, in Andalusien Zuckerrohr, Pisang und Bataten angebaut.

4) Das Steppengebiet umfaßt einen Teil von Südrußland, die Länder um das Kaspische Meer, den Kaukasus, Turan, Turkistan, das Hochland Kleinasiens, Armenien, Mesopotamien, Syrien, Palästina, Persien, Afghanistan, die Hochländer Tibets, den Thianschan, das Alataugebirge und die Wüste Gobi. In klimatischer Beziehung sind für dasselbe außerordentlich trockne, heiße Sommer und strenge Winter charakteristisch. Der kurze Frühling bildet die eigentliche Vegetationszeit; nur in den Flußthälern, wie in denen des Euphrat und Tigris, in den Hochthälern Afghanistans und der Bucharei entwickelt sich ein reicheres Pflanzenleben. In den völlig baumlosen Steppen wachsen fleischige Salzpflanzen, Dornsträucher und starrblätterige Gräser; nur im Frühjahr bedeckt sich der Boden mit schnell vergänglichen Zwiebel- und Doldenpflanzen.

5) Das chinesisch-japanische Florengebiet erstreckt sich durch China südlich bis zum Wendekreis des Krebses, nördlich bis zum Amur; von Japan ist nur die nördliche Hälfte der Insel Sachalin davon ausgeschlossen. Vor dem Steppengebiet hat es den Vorzug reichlicher und periodischer Niederschläge, welche die Folge der hier bis zum 40.–45. Grad hinaufreichenden Südwestmonsune sind. Die Flora Chinas und Japans setzt sich aus sibirischen, indischen und europäischen Pflanzenformen zusammen, denen sich eine Reihe nordamerikanischer Arten anschließen.

6) Das indische Monsungebiet liegt zwischen dem 30.° nördl. und dem 30.° südl. Br. und umfaßt den größten Teil von Vorder- und Hinterindien, die Sundainseln, Neuguinea, die Philippinen, Karolinen und eine Anzahl von Inselgruppen des Stillen Ozeans. Das Jahr zerfällt in den tropischen Teilen des Gebiets in die Abschnitte der Regenzeit und der trocknen Jahreszeit; durch das Übergreifen des Südostpassats auf die nördliche sowie des Nordostpassats auf die südliche Halbkugel entstehen die periodisch wehenden Monsune. Die hervorragendsten Pflanzenformen bilden zahlreiche Palmenarten, Cykadeen und Palmlianen, Bambusen, Farnbäume, Lianen und baumschmarotzende Orchideen, an der Küste wachsen Mangrovewälder. In den gleichmäßig das ganze Jahr hindurch feuchten und heißen Distrikten, wie den Inseln des Indischen Archipels, den Abhängen des Himalaja, im Thal des Brahmaputra, breiten sich dichte Dschangelwälder aus, an weniger feuchten Orten entwickeln sich periodisch dürre Savannen. Von Kulturpflanzen sind Reis, Baumwolle, Indigo, Kaffee auf Java, der Zimtbaum in Ceylon, die Muskatnuß und die Gewürznelken auf den Molukken, der Pfeffer Malabars und Siams, der Ingwer der Dschangelwälder und die Taroknollen der Südseeinseln die wichtigsten.

7) Das Florengebiet der Sahara nimmt einen großen Teil von Nordafrika zu beiden Seiten des nördlichen

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 960b. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s0960b.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2022)