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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 14

Newskij-Prospekt. Hier promeniert in den ersten Nachmittagsstunden die feine Welt, hier rollen die Wagen der Reichen über das elegante Holzpflaster. Auch die Pulsader des geschäftlichen Lebens, der Kaufhof (Gostinnoi Dwor), liegt mit einer Fronte am Newskij-Prospekt. Nächst dem Newskij sind die belebtesten und elegantesten Straßen die Große Morskaja („Seestraße“), die Kleine Morskaja, die Millionnaja und der Liteinij-Prospekt. Die schönste Stelle St. Petersburgs ist aber unbestreitbar das Newaufer mit seinen prachtvollen Palästen, unter denen die der Glieder der kaiserlichen Familie besonders hervortreten. Unter den öffentlichen Plätzen ist vor allen der Palaisplatz zwischen dem Winterpalais und dem Generalstabsgebäude zu nennen, das sich dem Palais gegenüber in einem Halbkreis ausdehnt. In der Mitte des Platzes, gegenüber dem 22,5 m breiten Triumphthor in der Fassade des Generalstabsgebäudes, dessen Frontispiz ein sechsspänniger Siegeswagen krönt, erhebt sich die 48 m hohe Alexandersäule. Dieselbe wurde 1834 errichtet und besteht aus einer 23 m hohen Granitsäule von 4½ m Durchmesser, deren Sockel, Mantel und Kapitäl aus eroberten türkischen Kanonen gegossen sind. Die Spitze dieses großen Monolithen ziert ein das Kreuz haltender Engel. Auf dem frühern Petersplatz, der jetzt einen Teil des schon erwähnten Alexandergartens um die Admiralität bildet, steht das 1782 enthüllte Denkmal Peters d. Gr. (von Falconet). Zu Roß sprengt der Kaiser einen 5½ m hohen Felsen hinan, mit der Rechten auf die Festung und die Newa deutend. Der Felsen trägt in goldenen Lettern die Inschrift: „Petro primo Catharina secunda 1782“. Durch den monumentalen Bau der Isaakskathedrale und den Isaakssquare von diesem großartigen Monument getrennt, erhebt sich vor dem Marienpalais der verstorbenen Großfürstin Maria Nikolajewna die Reiterstatue des Kaisers Nikolaus (von Klodt). Das 1874 enthüllte, nach einer Zeichnung Mikeschins gearbeitete Denkmal Katharinas II. schmückt den zwischen der öffentlichen Bibliothek und dem Anitschkowpalais liegenden Square, dessen Hintergrund das Alexandratheater abschließt. Auf einem glockenförmigen Piedestal erhebt sich die majestätische Gestalt der Kaiserin im kaiserlichen Schmuck; die Gestalten ihrer Ratgeber und Feldherren umgeben den obern, aus Bronze gegossenen Teil des Piedestals. Die übrigen Denkmäler der Residenz: die Standbilder Kutusows und Barclay de Tollys vor der Kasanschen Kathedrale, Suworows in antikem Stil am Marsfeld (Zarizyn Lug), welches 40,000 Mann manövrierender Truppen Raum bietet, eine zweite Reiterstatue Peters d. Gr. vor dem Ingenieurpalais, das Denkmal des Grafen Rumjänzow im Rumjänzowsquare, das aus einem Obelisk aus grünem Marmor auf einem Piedestal aus rotem Marmor besteht, das 1886 enthüllte Puschkindenkmal und das Krylowdenkmal im Sommergarten, bieten nichts Hervorragendes dar. Unter den 150 Brücken, welche S. hat, verdienen die über die Fontanka am Newskij führende Anitschkowbrücke am gleichnamigen Palais, die Troizkij- oder St. Petersburger Brücke, die zur St. Petersburger Seite führt, die Tutschkowbrücke, welche Wassilij-Ostrow mit der St. Petersburger Seite verbindet, die steinerne große Nikolaibrücke über die Newa und die steinerne Alexanderbrücke zur Wiborger Seite erwähnt zu werden. Bemerkenswert sind die vier bronzenen Pferde (von Klodt) auf der Anitschkowbrücke.

[Kirchliche Bauwerke.] Die Zahl der Kirchen und Kapellen St. Petersburgs beträgt gegen 140; dazu kommen noch fast ebenso viele Hauskirchen. Kapellen, wie die auf der Nikolaibrücke und auf dem Newskij-Prospekt zwischen dem Rathaus (Duma) und dem Gostinnoi Dwor, zählt man gegen 150. Bemerkenswert sind: die Kathedrale des heil. Isaak von Dalmatien, die Kathedrale zur heil. Mutter von Kasan, die Peter-Paulskathedrale, die Preobrashenskische Kirche, die Troizkij-, die Wladimirkirche, die evangelisch-lutherische Petrikirche am Newskij-Prospekt, die deutsch-reformierte Kirche u. a. Die Isaakskathedrale, vom Architekten Montferrand 1858 vollendet, besteht ganz aus Marmor und Granit. Den Portikus bilden 48 polierte dorische Säulen aus finnischem Granit, welche eine Höhe von 17 m haben. Die auf ihnen ruhenden Frontons sind 36,3 m lang und werden von dem hohen vergoldeten Dom gekrönt. Die schönen Basreliefs auf den Frontons sind von den Professoren Vitali, Klodt und Lemaire ausgeführt und ebenso bemerkenswert wie die riesigen Thore, die ins Innere des Tempels führen. Den größten Schmuck des Innern bilden 8 kolossale Malachitsäulen und 2 Malachitpilaster von gegen 14 m Höhe an der Scheidewand des Allerheiligsten (Ikonostas) wie 2 Säulen aus Lapislazuli und die herrlichen großen Mosaikbilder zwischen diesen Säulen. Das Allerheiligste enthält ein Modell der ganzen Kathedrale, in Gold in dem bekannten Atelier von Sasikow ausgeführt; der Wert des Modells wird auf ½ Mill. Rubel angegeben. Den imposantesten Eindruck macht dieser Riesenbau in der Osternacht, wenn eine unzählbare Menschenmenge dicht gedrängt den im Lichtglanz strahlenden Raum erfüllt und eine nicht weniger zahlreiche Menge den Tempel umwogt, von dessen vier Ecken aus der Höhe große Gasfackeln ihr Licht auf das bewegte Bild werfen. Die höchste Galerie über der goldenen Kuppel ist auch der höchste Punkt der Residenz und gewährt eine weite Rundschau. Die Kasansche Kathedrale, eine unvollkommene Nachbildung der Peterskirche in Rom, wurde unter Kaiser Alexander I. 1802–11 erbaut. Das Äußere der Kirche wie auch die Kolonnade ist aus Tuffstein von Pudost, ebenso auch die Säulen, die auf gußeisernen Basen ruhen. Die in Form eines abendländischen Kreuzes erbaute Kathedrale krönt eine hohe versilberte Kuppel von 20 m Durchmesser. Das Allerheiligste ist aus massivem Silber ausgeführt, welches die Kosaken im Feldzug 1813 und 1814 erbeutet hatten. In dieser Kirche werden viele persische, türkische, polnische und auch einige französische Fahnen, der Marschallsstab Davoûts, 28 Schlüsselpaare von eroberten Festungen u. a. m. aufbewahrt. Die Peter-Paulskathedrale in der Festung auf der St. Petersburger Seite mit 128 m hohem danebenstehenden Glockenturm dient seit Peter d. Gr. der russischen Herrscherfamilie als Begräbnisstätte. Sie wurde 1712–33 in Stein ausgeführt. Auch in dieser Kirche werden eine Menge eroberter Fahnen, militärischer Auszeichnungen, Roßschweife u. dgl. sowie die Schlüssel von Paris, Warschau und einigen Festungen aufbewahrt. Unter den lutherischen Kirchen ist die Petrikirche am Newskij-Prospekt mit herrlicher Orgel die schönste und reichste. Ihre gegenwärtige Fassade erhielt sie 1838. Noch zu erwähnen ist das Alexander Newskij-Kloster (s. d.) mit berühmter Bibliothek. Für den Fremden ist sowohl in den Kirchen als in den Klöstern der gottesdienstliche Chorgesang von hohem Interesse. Weiter hinauf an der Newa liegt das Smolnakloster, jetzt eine Erziehungsanstalt für über 800 adlige Jungfrauen, von denen 500 auf Kosten der Krone erzogen werden.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 14. Bibliographisches Institut, Leipzig 1889, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b14_s0291.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2021)