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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 15

weder Intelligenz noch Willen besitzt, von einem „Weltplan“ oder gar einer „Wahl“ zwischen mehreren Weltplänen nicht die Rede sein kann) noch eines blinden Verhängnisses (da die Substanz Ursache ihrer selbst und von nichts außer ihr abhängig ist). Die Beschaffenheit und Reihenfolge derselben sind nicht durch Zweck-, sondern lediglich durch wirkende Ursachen bestimmt; dieselben sind weder nützlich (gut) noch schädlich (schlecht), sondern einfach notwendig. Als solche ist die Welt weder die beste noch die schlechteste unter (mehreren) möglichen, sondern die einzig mögliche. Die Erkenntnis dieser unabänderlichen Weltordnung ist es, welche den Weisen vom Thoren scheidet. Während der letztere vom Weltlauf die Erfüllung seiner Wünsche hofft oder deren Gegenteil fürchtet, erkennt der erstere, daß jener unabhängig von diesen unabänderlich feststeht und daher weder Hoffnung noch Furcht einzuflößen vermag. Die philosophische Erkenntnis besteht darin, die Dinge zu schauen, wie Gott sie schaut (unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, sub specie aeternitatis, gleichsam „aus der Vogelperspektive“), d. h. jedes Einzelne (Idee, Körper, Ereignis) im Zusammenhang als Glied des (unendlichen) Ganzen. Die philosophische Gemütsstimmung besteht einerseits in der Resignation, d. h. in der Ergebung, welche aus der Erkenntnis der Notwendigkeit, anderseits in der (intellektuellen) Liebe zu Gott, welche aus der Erkenntnis der (ursprünglichen) Göttlichkeit des Weltlaufs entspringt. Da die eine wie die andre Wissen, d. h. Erkenntnis des (metaphysischen) Wesens der Welt (als Entfaltung Gottes), voraussetzt, so bildet die (pantheistische, richtiger akosmistische) Metaphysik die unentbehrliche Vorbedingung zu der (affekt- und leidenschaftslosen) Ethik Spinozas. Sowohl um dieses ihres echt philosophischen Ergebnisses in praktischer wie um ihres auf den Zusammenhang des Ganzen als Weltorganismus gerichteten Blicks (den übrigens Leibniz zum mindesten im gleichen Grad besaß) in theoretischer Hinsicht halber hat die Philosophie Spinozas, die anfänglich nur in Holland einen kleinen Kreis von Anhängern fand (de Vries, Mayer u. a.), ein Jahrhundert später bei Größen ersten Ranges, wie Lessing, Jacobi, Herder, Goethe u. a., Bewunderung, bei Fichte, Schelling, Hegel mehr oder weniger eingestandene Nachahmung gefunden. Am 14. Sept. 1880 ist ihm im Haag ein Denkmal (von Hexamer) errichtet worden. Für die Erläuterung seiner (selbst von seinen Freunden oft mißverstandenen) Lehre ist sein ziemlich umfangreicher Briefwechsel wichtig. Eine vollständige Ausgabe der Werke Spinozas wurde von Paulus veranstaltet (Jena 1802, 2 Bde.); eine andre von Gfrörer im „Corpus philosophorum optimae notae“, Bd. 3 (Stuttg. 1830), enthält sämtliche Werke ohne die hebräische Grammatik. Korrekter als die erstgenannte, aber ohne die Biographie des Colerus ist die Ausgabe von Bruder (Leipz. 1843–46, 3 Bde.); die neueste ist die von J. van Vloten und Land (Haag 1882, 2 Bde.). Deutsche Übersetzungen lieferten B. Auerbach (2. Aufl., Stuttg. 1871, 2 Bde.), welcher die französische von Saisset (2. Aufl., Par. 1861, 3 Bde.) vorzuziehen ist, und neuerlich Kirchmann und Schaarschmidt in der „Philosophischen Bibliothek“. Den „Tractatus de deo et homine“ (hrsg. von van Vloten, Amsterd. 1862, und mit Einleitung von Ginsberg, Leipz. 1877) hat Sigwart (Tübing. 1870) ins Deutsche übersetzt und erläutert. Über die S. betreffende Litteratur vgl. van der Linde, S. (Göttingen 1862); über dessen Philosophie: Sigwart, Der Spinozismus, historisch und philosophisch erläutert (Tübing. 1839); Thomas, S. als Metaphysiker (Königsb. 1840); Saintes, Histoire de la vie et des ouvrages de S. (Par. 1842); Trendelenburg, Historische Beiträge zur Philosophie, Bd. 2 und 3 (Berl. 1855–67); K. Fischer, Geschichte der neuern Philosophie (Bd. 1, Abt. 2); Camerer, Die Lehre Spinozas (Stuttg. 1877); Baltzer, Spinozas Entwickelungsgang (Kiel 1888); Ginsberg, Briefwechsel des S. (Leipz. 1876, mit der Biographie von Colerus). B. Auerbach behandelte das Leben Spinozas in einem Roman.

Spinster (engl.), lediges Frauenzimmer.

Spintherísmus (griech.), das Funkensprühen.

Spintisieren, grübeln, fein ausspinnen.

Spintrĭen (lat.), Gemmen oder Münzen mit unzüchtigen Darstellungen.

Spion (ital.), s. Kundschafter.

Spira, Johannes de (Johann von Speier), wahrscheinlich einer der deutschen Buchdrucker, die nach der Eroberung von Mainz 1462 auswanderten und die Buchdruckerkunst weiter verbreiteten. Er war der erste Typograph zu Venedig und zugleich auch der erste „privilegierte Buchdrucker“. Seine ersten Werke sind: Ciceros „Epistolae“ und Plinius’ „Historia naturalis“ (Vened. 1469). Seine Ausgabe des Tacitus, zugleich die erste dieses Schriftstellers, ist das erste mit arabischen Blattziffern bezeichnete Buch (vgl. Antiqua). Nach seinem 1470 zu Venedig erfolgten Tod führte sein Bruder Wendelin de S. die Offizin bis 1477 fort; dieser druckte die erste Ausgabe der Bibel in italienischer Sprache nach der Übersetzung von Malermi.

Spiraea L. (Spierstrauch, Spierstaude), Gattung aus der Familie der Rosaceen, Sträucher und Kräuter mit gefiederten oder ganzen Blättern, ohne oder mit Nebenblättern, in endständigen Ähren, Trauben, Rispen oder Doldentrauben stehenden Blüten und mehrsamiger Balgkapsel. S. ulmaria L. (Krampfkraut, Wurmkraut, Mädelsüß, Geißbart, Wiesenkönigin), 60–120 cm hoch, mit unterbrochen fiederteiligen Blättern, großen Nebenblättern, in Trugdolden stehenden, weißen Blüten und spiralförmig gedrehten, kahlen Früchtchen, wächst in Europa und Nordasien an feuchten Stellen. Die Blüten liefern ein ätherisches Öl, welches salicylige Säure enthält. Dasselbe gilt von S. filipendula L. (Erdeichel, Haarstrang), deren Früchtchen nicht spiralig gedreht und behaart sind, und an deren langen, fadenförmigen Wurzeln erbsengroße Knollen hängen. Diese Art wächst auf trocknen Wiesen und in Wäldern und war, wie die vorige, früher offizinell. Gegen 40 andre Arten aus Südeuropa, Asien und Nordamerika sind beliebte Ziersträucher.

Spiräaceen, Unterfamilie der Rosaceen.

Spirābel (lat.), atembar, verdunstbar.

Spiracŭlum (lat.), Luftloch, Öffnung.

Spirāle (lat., Spiral-, irrtümlich auch Schneckenlinie), ebene krumme Linie, die um einen festen Punkt unendlich viele Umläufe macht. Die einfachste ist die von Archimedes untersuchte, welche von einem Punkt beschrieben wird, der sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit auf einer durch gehenden Geraden bewegt, während letztere sich gleichförmig um dreht. Es ist also der Abstand proportional dem Drehungswinkel (, wenn konstant ist). Man kann dieselbe zur Teilung der Winkel benutzen, welche auf die Teilung einer Geraden zurückgeführt wird. Andre Spiralen sind: die Fermatsche , die hyperbolische oder reciproke , die logarithmische

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 15. Bibliographisches Institut, Leipzig 1889, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b15_s0158.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)