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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

wieder benutzt worden, wie dies eine große Marmorbasis beweist, welche in der Mitte des Hauptraums gefunden wurde, sie hat jedenfalls Marmortafeln getragen; vor ihr hat, wie die in den Fels gehauenen Standspuren beweisen, ein Tisch oder Sarkophag mit zwei Füßen gestanden. Das Innere war nur nach Art eines Sternenhimmels mit Bronzerosetten in regelmäßigen Abständen bekleidet, nicht, wie man bisher annahm, mit Bronzeplatten zusammenhängend bedeckt (vgl. „Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft 26. Juni 1886“); 3) auch im „Schatzhaus des Atreus“ zu Mykenä zeigte es sich, daß die Wölbung nur mit Bronzerosetten bekleidet war; 4) eine besonders wichtige Ausgrabung ist 1889 gemacht und von bedeutenden Resultaten gekrönt gewesen. In der Nähe des alten Amyklä bei Sparta im Eurotasthal ist ein schon länger bekanntes Grab ausgeräumt worden, in welchem sehr wichtige Gold- und Silbersachen (Trinkgefäße mit figürlichen Reliefs, Schmuckgegenstände und Waffen) gefunden wurden. In Mykenä selbst wurden von Tsuntas 1887 und 1888 ein großes Kuppelgrab und einige 50 kleinere Gräber ausgegraben. Dabei wurden sehr reichhaltige Funde an Gefäßen und geschnittenen Steinen gemacht. Vgl. Belger, Beiträge zur Kenntnis der griechischen Kuppelgräber (Programm des Friedrichs-Gymnasiums zu Berlin, 1887). Die zweite Gattung von Resten der mykenischen Kultur sind die Palastbauten von Tiryns und Mykenä. Die erstern sind seit Schliemanns großer Ausgrabung (1884) bekannt (vgl. Schliemann, Tiryns, 1886). Der Palast von Mykenä liegt auf der Akropolis; bei der Ausgrabung fanden sich auch Inschriften, welche beweisen, daß Mykenä auch nach der Zerstörung durch die Argiver (468) noch existiert hat. Da Tiryns auf einem ziemlich niedrigen Hügel aus der Ebene sich erhebt, so ist dieser natürliche Mangel durch ganz kolossale Mauern ausgeglichen worden. Sie sind aber nicht völlig massiv, sondern von korridorartigen Hohlräumen durchsetzt; da die Mauer nach außen größtenteils verfallen ist, so öffneten sich diese „Galerien“ in Spitzbogenform nach außen, und man glaubte lange, daß dies der ursprüngliche Zustand gewesen sei, indem man die ganze Einrichtung für Ausfallsgalerien hielt. Die letzten Ausgrabungen haben aber bewiesen, daß es Innenräume waren. Da die Mauern von Karthago ähnlich konstruiert sind, mit Hohlräumen, welche als Elefantenställe und Magazine benutzt wurden, so hat man auch hier phönikische Verwandtschaft gesucht. Scheinen so sich Fäden nach dem Orient hinüberzuspinnen, so gewinnt es auch immer mehr Wahrscheinlichkeit, daß auch die spätere griechische Kultur, so grundverschieden sie auf den ersten Blick von der mykenischen zu sein scheint, doch mit ihr zusammenhängt. So sind in allerletzter Zeit in einem mykenischen Grab zwei Fibeln (unsern Plaidnadeln durchaus ähnlich) gefunden worden, welche bisher als ein spezifisches Eigentum der spätern griechischen Kultur gehalten wurden. Geographisch war auch der mykenische Palastbau selbst in Attika vertreten. Bei der großartigen Aufräumung der Akropolis von Athen haben sich namentlich auf der Nordseite tief unter dem heutigen Niveau beträchtliche Reste der alten vorpersischen Bauten gefunden, welche in Gesamtanlage und Einzelheiten zu Tiryns und Mykenä Analogien zeigen.

Wir verlassen jetzt die mykenische Kultur, deren Denkmälerkreis sich noch beständig erweitert und uns sicherlich noch die Zusammenhänge der uralten Kulturen Ägyptens, Babyloniens, Griechenlands aufzeigen wird, und gehen über zu der eigentlich griechischen Kunst, wie sie etwa vom 6. Jahrh. v. Chr. uns entgegentritt. Im Peloponnes gräbt die hochverdiente griechische Archäologische Gesellschaft schon seit Jahren das berühmteste Asklepiosheiligtum, den beliebtesten Kurort Griechenlands, Epidauros, aus. Gefunden wurde der Asklepiostempel aus dem Ende des 5. Jahrh. v. Chr. mit vielen Resten der Giebelgruppen, welche im Stil der Nikebalustrade zu Athen am nächsten kommen, ein Tempel der Artemis, Hallen für den Kurgebrauch, das wohlerhaltene Theater und der berühmte, säulenumgebene, kleine Rundtempel des großen Polyklet, die sogen. Tholos. Letztere ist in allen Ornamenten von wunderbarer Schönheit und Feinheit der Ausführung, ja der Bau macht in allen Einzelheiten so starken individuellen Eindruck, daß Furtwängler ihn wirklich für das Werk des berühmten Polyklet hält. Das Theater wird mit Recht demselben Architekten zugeschrieben, ist wohl das schönste aller erhaltenen und gibt wichtige Aufschlüsse über den Theaterbau der Griechen vor der Zeit des römischen Einflusses. An Skulpturen wurden die Giebelgruppen des Asklepiostempels, Amazonenkämpfe darstellend, gefunden, sind aber noch nicht zusammengesetzt, ferner herabschwebende Nikefiguren, als Krönung der Giebeldreiecke, welche deutlich den Einfluß der Nike des Päonios von Olympia zeigen, Statuen des Asklepios selbst und ein ganz wundervolles Relief, welches, wohl nach dem Goldelfenbeinbild gemacht, den Gott in ruhig heiterer Würde thronend darstellt. Für die allgemeine Kulturgeschichte am wichtigsten aber sind die gefundenen Inschriften, unter welchen wir drei Stelen hervorheben, die Kur- und Wundergeschichten enthalten. Sie sind genau so wie etwa mittelalterliche Berichte vom heiligen Blut oder moderne von Lourdes, ja manche Einzelheiten wiederholen sich so frappant, daß man sieht: der Mensch bleibt wenigstens in seinen Bedürfnissen immer derselbe. Der ganze heilige Bezirk war mit Weihgeschenken der Geheilten angefüllt wie ein moderner Wunderkurort: Blinde werden sehend, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, unfruchtbare Weiber erhalten Nachkommenschaft. Auch Epidauros ist noch nicht erschöpft und wird noch vielerlei Aufschlüsse geben. In Sikyon ist das Theater ausgegraben worden, aber noch nicht publiziert; in Korinth sind die Fundamente des uralten dorischen Tempels freigelegt worden, welcher wohl bis ins 6. Jahrh. v. Chr. hinaufreicht, und dadurch hat sich der Grundriß wiederherstellen lassen; in Patras ist eine Art von Odeion, ein bedecktes Theater, aufgefunden worden.

Ausgrabungen in Athen.

Eine der bedeutendsten und ertragreichsten Ausgrabungen, die je unternommen worden sind, geschah in den letzten fünf Jahren zu Athen. „Man glaubte bis vor kurzem, daß auf der athenischen Burg jeder Winkel genügend durchforscht, jeder Erdhaufe durchsucht sei, und doch hat man noch beträchtliche Reste von großen Bauwerken aufgedeckt und eine solche Masse von Statuen, Bronzen, Terrakotten, Vasen und Inschriften gefunden, daß nicht nur das vorhandene Museum damit gefüllt werden konnte, sondern noch ein neues hinzugebaut werden mußte. Für Jahrzehnte werden diese Funde der Wissenschaft noch reichlichen und lohnenden Stoff zu Studien aller Art bieten.“ So schreibt Dörpfeld in den „Mitteilungen des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts“ (athenische Abteilung, 1888, S. 431), in welchen überhaupt über die neuen Funde seit einigen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0074.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2022)