verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17 | |
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Kamm ein Becken, in dessen Tiefe eine kleine Gletschermasse lagert und an einer schroffen Wand abbricht. Über eine zweite Stufe stürzt ein Bach, der von der rechten Thalseite herkommt und sich weiter unterhalb in den Antholzer See ergießt. Der See wurde durch einen mächtigen Schuttkegel der Roten Wand aufgestaut, der bis zu den gegenüberliegenden Trümmerhalden des Wildgall reicht. Die Wechsellagerung von Gesteinen, die der Erosion infolge ihrer bald weichen, bald harten Beschaffenheit verschiedenen Widerstand entgegensetzen, müssen derartige Unregelmäßigkeiten hervorrufen. Machen sich dieselben schon bei horizontaler Lagerung des Gesteins geltend, so ist es in viel höherm Grade der Fall bei aufgerichteten Schichten. Diese haben senkrecht zum Streichen die stärkste Neigung, das fließende Wasser, welches dieser Richtung folgt, demgemäß das stärkste Gefälle. T., welche quer oder annähernd rechtwinkelig auf das Streichen der Schichten eingefurcht sind, bezeichnet man als Querthäler; in ihnen schneidet das Wasser infolge des starken Gefälles zwar am schnellsten eine Thalrinne ein, man findet aber sehr selten eine gleichmäßig und kontinuierlich verlaufende Kurve, da der Wechsel der Gesteine gerade quer zum Streichen am mannigfachsten ist. Günstiger liegen die Verhältnisse, wenn die Erosion längs der Streichungsrichtung des Gesteins wirken kann, in sogen. Längsthälern; hier fehlt einerseits der mannigfache Wechsel in der Lagerung und Beschaffenheit der Gesteine, anderseits bietet jede Schichtfuge der Erosion einen natürlichen Angriffspunkt. Die große Furche, in welcher der Rhône von der Quelle bis Martigny nach SW., die Reuß im Urserenthal und der Rhein bis Chur nach der entgegengesetzten Richtung fließen, bietet das beste Beispiel eines Längsthals, die Flüsse, welche von den Berner Alpen nach NW. strömen, verfolgen Querthäler. Andre Alpenflüsse, wie z. B. der Inn, besitzen einen aus abwechselnden Längs- und Querthälern zusammengesetzten Lauf, der also in seinen einzelnen Abschnitten entweder senkrecht oder parallel zur Streichungsrichtung verläuft, in seiner Gesamtheit aber das Gebirge schräg durchschneidet.
Aus diesen Beziehungen, die zwischen Gebirge und Thal bestehen, geht zunächst im allgemeinen hervor, daß der Verlauf der Flüsse, die Gestalt und Bildung ihrer T. mehr oder minder vom Gebirgsbau abhängig ist, nur über das Maß der Abhängigkeit sind die Ansichten verschieden. Es handelt sich dabei um die Frage nach dem Altersverhältnis von Gebirge und Fluß und ferner darum, ob die Erosion der Gebirgsbildung oder ob diese der Erosion überlegen ist. Rütimeyer, Heim, Tietze u. a. in Europa sowie Powell in Amerika vertreten die Ansicht, daß die Flußläufe älter als die Gebirge sind, letzterer hat zuerst die Behauptung ausgesprochen, daß die Flüsse ihre T. den Veränderungen des Bodens anpassen und auch die Erosion mit der Gebirgsbildung gleichen Schritt halte. Gewiß gibt es Flüsse, die älter sind als die von ihnen durchschnittenen Gebirge; die Karpathen, der Elburz, besonders der Himalaja zeigen Verhältnisse, welche zu gunsten eines höhern Alters der Flüsse sprechen. Erfolgte die Aufrichtung langsam, so konnte die Erosionsthätigkeit mit dem Fortschreiten der Faltung gleichen Schritt halten, so daß der Fluß stets in gleichem Niveau verblieb. Es gibt aber auch Gebirge, die weit älter sind als ihre Querthäler, in denen also die Ausnagung der letztern erst nach dem Abschluß der Faltung eingeleitet wurde. Das war besonders dann der Fall, wenn auf dem Festland, nachdem es über den Meeresspiegel erhoben war, die Aufstauung eines Gebirges stattfand. Beispiele von Durchbruchsthälern finden sich in den verschiedensten Gebirgen: der Poprad entspringt auf der Südseite der Hohen Tatra und wendet sich, anstatt sich mit der nur durch eine niedrige Wasserscheide getrennten Waag zu vereinen, nach N. und durchbricht die Karpathen. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Aluta in Siebenbürgen, der Isker in Bulgarien durchbricht von S. her den hohen Balkan, alle werden aber an Großartigkeit übertroffen von dem Indus und Brahmaputra. Um solche Vorkommnisse zu erklären, ist angenommen worden, daß das Flußwasser sich hinter dem Gebirgswall aufstaute, bis der Abfluß sich eine tiefe Rinne ausnagen konnte. Diese Annahme entspricht aber nicht den thatsächlichen Verhältnissen, da sonst der Poprad sich in die Waag ergießen, die Aluta sich mit der Maros vereinigen und der Isker in die Maritza münden müßte. Auch Spalten, welche dem Wasser durch das Gebirge einen Weg hätten bahnen können, sind an den betreffenden Stellen nicht vorhanden. Es ist aber auch ferner fraglich, ob die Erosion in einem von der Gebirgsbildung ergriffenen Gebiet mit der Faltung gleichen Schritt hatten kann. Löwl ist der Ansicht, daß unter allen Umständen die Erosion durch den Beginn der Gebirgsbildung lahmgelegt würde, indem der Fluß infolge des verminderten Gefälles genötigt sei, seine Geschiebe abzulagern und dadurch seine Thalsohle zu erhöhen. Dabei ist aber der Umstand übersehen, daß durch die Erhöhung der Flußsohle auch das Gefälle sich steigert und zwar so weit, bis die Geschwindigkeit des Wassers die Geschiebe wieder in Bewegung setzen kann. Die Entstehung der Durchbruchsthäler versucht Löwl von seinem Standpunkt aus ohne Annahme älterer Flußläufe durch rückschreitende Erosion zu erklären. Waren die Gebirgsketten durch die rückwärts und aufwärts fortschreitende Erosion durchschnitten, so war dem hinter denselben gelegenen Fluß die Möglichkeit geboten, sich durch das neue Thal zu ergießen. Auch dieser Erklärung stehen schwer wiegende Bedenken entgegen. Man würde den Vorgang verstehen, wenn die Seite, von der aus die Erosion rückwärts in das Gebirge griff, eine größere Niederschlagsmenge empfinge als die gegenüberliegende, eine solche Annahme trifft aber durchaus nicht in allen Fällen zu. Ferner ist es unverständlich, warum gerade dem einen Bach eine größere Erosionskraft zugekommen sein sollte als andern benachbarten, die in gleichen Verhältnissen standen. Endlich liegen manche Durchbruchsthäler gerade in den härtesten und widerstandsfähigsten Gesteinen, während weicheres Material, das in der Nähe lag, von der Erosion unberührt blieb. Der Dunajec durchbricht beispielsweise in den Karpathen die sogen. südliche Klippenreihe an einem Punkt, wo hartes Kalkgestein ansteht, während durch die zu beiden Seiten befindlichen Sandsteine und Schieferthone der Durchbruch viel leichter erfolgt wäre (Tafel, Fig. 3). Unter solchen Umständen ist nur die eine Folgerung möglich, daß die T. in ihren Hauptzügen älter sind als die Gebirgsketten, welche sie durchbrechen.
Für die Ausgestaltung der einzelnen T. sind neben den Bodenverhältnissen auch die meteorologischen Faktoren maßgebend. In regenreichen Gegenden oder in einseitig bewässerten Gebirgen besitzen normale Thalfurchen auf beiden Seiten abgeschrägte Gehänge, indem in demselben Maß, wie sich das Thal einschneidet, die Thalwände der Zerstörung durch die Atmosphärilien unterliegen. Je älter das Thal, desto breiter und ebener die Thalsohle und desto sanftere
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0793.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2024)