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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18

3 Mark Pf. für das Familienhaupt,
2 die beim Mann lebende Ehefrau,
2 ein Kind von 15 Jahren und darüber,
1 80 10–15 Jahren,  
1 30 5–10  
1 10 1–5  
80 weniger als einem Jahr,

demnach z. B. auf 12 Mk. für eine aus den genannten Personen bestehende Familie und auf 3 Mk. für eine einzelstehende Person. Nach der ganzen Anordnung des Systems ist ein bedeutender Apparat von Personen, Instruktionen und Formularen, dann Arbeitsvermittelung, Armenküchen, Vorsorge für ärztliche Materialien, Naturalien überhaupt: als Bekleidungs- und Bettwerksgegenstände, Hausrat etc., erforderlich. Dafür ist allerdings zu sagen, daß der Erfolg bei Befolgung dieses Systems nicht ausbleiben kann. Deshalb ist es als sehr erfreulich zu bezeichnen, daß sich der Kreis der Städte, welche dieses System acceptieren, immer mehr erweitert; bis jetzt sind bereits zu nennen, der Größe nach gereiht: Dresden (eingeführt 1880), Leipzig (1881), Frankfurt a. M. (1883), Bremen (1875), Düsseldorf (1883), Barmen (1862), Krefeld (1862), Dortmund (1874), Essen (1864), Kiel (1871), Potsdam (1882), Duisburg (1862), Darmstadt (1876), Rostock (1881), Zwickau (1883), Elbing (1875), Halberstadt (1863), Hildesheim (1882), Stralsund (1882), Gotha (1884), Guben (1882), Landsberg (1878), Mülheim (1880), Meerane (1881), Greifswald (1885), Oldenburg (1877), Lüneburg (1882), Quedlinburg (1884), Siegen (1877), Kolberg (1885), Luckenwalde (1886), Eilenburg (1883), Neuwied (1870), Ruhrort (1867). Die größte dieser Städte umfaßt 1/4 Mill. und die kleinste ca. 10,000 Einw., und nahezu überall hat sich das System vortrefflich bewährt. Seit 1889 hat es nun auch in Österreich, und zwar speziell in den deutschen Städten Böhmens, Eingang gefunden, zuerst in Trautenau, dann noch in Reichenberg, Pilsen, Warnsdorf etc. Speziell in Trautenau fanden die Prinzipien sinngemäße Anwendung auf die Weihnachtsbescherungen, welche hier auch nach dem Grundsatz der Individualisierung der Fälle erfolgen; eine eigenartige Einrichtung hat dann hier auch das Arbeitshaus gefunden, indem der Verdienst von dessen Insassen den letztern nicht in Geld ausgezahlt, sondern von der Armenverwaltung zur Verbesserung der Existenz in Naturalien verwendet wird.

Wenn nun auch, wie bemerkt, in methodischer Beziehung das Elberfelder System eine endgültige Lösung der Frage nach der Gestaltung der Armenpflege enthält, so läßt sich doch in organischer Beziehung eine andre Gestaltung als ebenso berechtigt denken. Die Schwierigkeit, welche hier zu überwinden ist, ist die Spaltung in die öffentliche (städtische) und Vereinsarmenpflege. Schon im Elberfelder System ist dieser Punkt in trefflicher Weise zum Ausbau der Struktur verwendet worden, indem sich die privaten Kräfte in einem Hauptverein, dem Elberfelder Frauenverein, konzentrieren, der in engster Fühlung und Unterordnung unter die städtische Armenpflege seine Thätigkeit ausübt. Gerade rücksichtlich dieser Spaltung von öffentlicher und privater Armenpflege liegen in den österreichischen Städten zwei Beispiele vor, welche eine durchgreifende Lösung dieses immerhin sehr hemmenden Umstandes versuchen. Das erste besteht in dem sogen. Gablonzer System. In der Stadt Gablonz in Nordböhmen wird der Versuch gemacht, die gesamte Armenpflege durch den Verein gegen Verarmung und Bettelei durchführen zu lassen, dem die Stadtverwaltung verschiedene Attribute ihrer öffentlichen Funktion zur Verfügung stellt, indem sie sich selbst der eigentlichen Armenpflegethätigkeit enthält. Der Bedarf dieses Vereins, damit der gesamten Armenpflege, wird einfach als Steuer umgelegt. In den südlichen Städten, welche mit italienischen Einrichtungen Verwandtschaft zeigen, entfällt häufig diese Spaltung in die öffentliche und private Armenpflege ganz, indem dieselbe ausschließlich von der Congregazione di carità oder von der Commissione di beneficenza ausgeübt wird.

Was nun die Frage anbelangt, nach welcher Richtung die organische Reform der Armenpflege der noch im Zustand sogen. magistraler Verwaltung dieses Zweiges befindlichen Städte erfolgen soll, muß unterschieden werden, welche Ausdehnung die Städte besitzen. Die Elberfelder Armenpflege paßt für den Hauptstamm der Städte von der Untergrenze von 10–15,000 Einw. bis zu den Städten mit 100,000 Einw. Für die kleinern Städte dürfte die doch immer komplizierte Gestalt des Elberfelder Systems bei der Geringfügigkeit der Verhältnisse weniger erforderlich sein, vornehmlich wenn die industrielle Entwickelung wenig intensiv ist. Dagegen dürfte in organischer Beziehung die Gablonzer Einrichtung eher anzuempfehlen sein. In den Großstädten aber, besonders in den Millionenstädten, ist vorläufig die Einführung des Elberfelder Systems als kaum möglich anzusehen; hier sind eben die Verhältnisse so ungemein kompliziert, daß die Lösung des Problems der Armenpflegeorganisierung immer lückenhaft bleiben wird, ebenso wie dies bei andern Zweigen der Kommunalverwaltung der Fall ist. Jede der wahren Großstädte bildet eine Individualität für sich, und für gewöhnlich ist auch eine ganz individuelle Gestalt der Armenpflege mit der Großstadt selbst emporgewachsen. Dagegen ist der Hauptkern des Elberfelder Systems in methodischer Beziehung, die Individualisation nebst der Konzentrierung, absolut nirgends zu entbehren.

Armenstatistik.

Auf dem Gebiet der Armenpflege kämpft die Statistik mit so bedeutenden Schwierigkeiten, daß deren Überwindung bisher noch nirgends gelungen ist. Verhältnismäßig noch am besten ist die Erhebung der Verarmungsverhältnisse im Deutschen Reiche und zwar für das Jahr 1885 erfolgt. Den Weg hatte der oben genannte deutsche Verein für Armenpflege und Wohlthätigkeit gewiesen, dessen Vorschläge in statistischer Hinsicht sehr weitgehende Berücksichtigung fanden. Von demselben Verein stammt bekanntlich auch die Anregung zu der statistischen Erhebung Böhmerts über die Armenverhältnisse in den deutschen Städten. Auf diesen Quellen fußen die folgenden tabellarischen Übersichten, welche die Hauptresultate zur Darstellung bringen sollen. Aus der Tabelle I ergibt sich, daß die Armenziffer für die Gebiete ganzer Staaten (resp. Provinzen) des Deutschen Reiches wohl in den Grenzen von ca. 1,8 bis 9,7 Proz. schwankt, sich jedoch weitaus am häufigsten in den Grenzen von 3–4 Proz. bewegt. Hohe Zahlen (über 6 Proz.) weisen die Städte Berlin, Lübeck, Bremen und Hamburg, dann aber auch noch Mecklenburg-Strelitz auf. Erheblich unter dem Durchschnitt stehen die Zahlen für einige kleinere Länder. Die Gesamtziffer der Armen im Deutschen Reiche beträgt 887,000 Parteien oder über 11/2 Mill. Einzelpersonen, und der Gesamtaufwand pro Jahr 90 Mill. Mk., somit im Durchschnitt 50–60 Mk. für je einen Armen und je ein Jahr. Wenn auch der auf den Kopf entfallende Jahresbetrag recht bescheiden ist, so müssen doch die Gesamtziffern als höchst bedeutende

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18. Bibliographisches Institut, Leipzig 1891, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b18_s0072.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)