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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18

mangelhafter Isolation mit dem Boden in Verbindung steht, so daß der Strom durch die Füße des Berührenden und durch seinen Körper zurück zur zweiten Leitung geht, so kann der Berührte durch den Strom an seiner Gesundheit schwer geschädigt, auch getötet werden. Dieser Gefahr sind meist Leute ausgesetzt, welche die Maschinen oder Leitungen zu bedienen haben und die nötige Vorsicht außer acht lassen. Ganz schwache Schläge können den Betreffenden so erschrecken, daß er z. B. von einer Leiter fällt etc. Auch können Verbrennungen vorkommen, die besonders dann gefährlich werden, wenn der Betreffende im Fallen oder um einen Halt zu gewinnen, nun erst recht in die Drähte greift und bewußtlos längere Zeit mit denselben in Berührung bleibt. Sorglosigkeit und Unvorsichtigkeit der Arbeiter führt auch hier die meisten Unglücksfälle herbei, besonders dadurch, daß versäumt wird, vor irgend einer Reparatur oder dergleichen die Stromleitung abzustellen. Besonders häufig sind Unglücksfälle in Amerika vorgekommen, wo man die Leitungen mit unerhörtem Leichtsinn verwaltet. Ein Stück Draht einer aufgegebenen Leitung verrostet, fällt herab auf einen andern Draht, der vielleicht von einem hochgespannten Strom durchlaufen wird, und stellt eine Verbindung dieses Stromes mit der Erde her. Berührt dann der Draht im Fallen einen Menschen, so kann er diesen verletzen oder töten, fällt er auf einen Telegraphen- oder Telephondraht, so leitet er den gefährlichen Strom in die Häuser und kann auch hier verderblich wirken.

Die Gefahr der elektrischen Leitungen steigt sehr erheblich bei Anwendung des Wechselstromsystems. Man benutzte bisher bei Beleuchtungsanlagen das Gleichstromsystem mit elektrischem Strom von geringer Spannung, der zu seiner Fortleitung einen verhältnismäßig starken Draht erfordert, geht aber jetzt mehr und mehr zum Wechselstromsystem über, indem man Ströme von hoher Spannung anwendet, für deren Fortleitung schwächere Drähte genügen. Um die Ströme von hoher Spannung auf eine beliebig niedrigere zu bringen, werden Transformatoren angewendet, bei welchen der hochgespannte Strom eine Spule durchfließt und dabei in einer zweiten Spule einen schwächern Strom induziert. Bei Isolationsfehlern im Transformator kann die primäre hohe Spannung sehr leicht einmal unerwartet im sekundären Leitungskreis auftreten, was um so bedenklicher ist, als das Gefühl vermeintlicher Sicherheit Veranlassung zu nicht gerechtfertigter Sorglosigkeit und Unachtsamkeit gibt. Besonders gefährlich ist eine derartige oberirdische Leitung, bei welcher der Transformator im Haus, etwa unter dem Dach steht, aber auch bei unterirdischen Leitungen ist Sorge zu tragen, daß bei Arbeiten im Straßengrund kein Unglück geschieht.

Die Wirkung elektrischer Ströme auf den Menschen ist von so vielen Verhältnissen abhängig, daß sich darüber wenig Allgemeines sagen läßt. Nach Versuchen in Hannover kann ein Erwachsener, der an die Wirkungen der Elektrizität gewöhnt ist, wenn man ihm den Strom mittels metallener Handhaben von gebräuchlicher Größe zuführt, die fest in die befeuchteten Hände genommen werden, ohne daß wirkliche Schmerzempfindung oder ein merklicher Nachteil für die Gesundheit eintritt, einen Strom eben noch aushalten, der durch eine Spannungsdifferenz von 50–100 Volt erzeugt wird. Höhere Spannungen, wie sie Serienmaschinen für Bogenlicht liefern, können daher sehr wohl nachteilige Wirkungen hervorrufen, und es scheint, daß 600 Volt bei vollem Anfassen metallischer Teile der Schließung die Grenze bilden, jenseit welcher Gefahr vorhanden ist. Viel gefährlicher als Gleichströme sind aber Wechselströme. Hunde, welche in Edisons Laboratorium kontinuierlichen Strömen von 1000–1400 Volt widerstanden, wurden durch Wechselströme von 250–800 Volt getötet. Eine französische Kommission fand, daß bei geschlossenem Stromkreis Stromdifferenzen bis zu 500 Volt durchaus ungefährlich sind. Wechselströme von 60 Volt, also von der Stärke der gewöhnlichen Jablochkowströme, töteten Meerschweinchen bei längerer Einwirkung, solche von 120 Volt führten augenblicklichen Atemstillstand und Tod herbei. Die Kommission schlug daraufhin der Regierung vor, Gleichströme von 500 Volt an und Wechselströme von 60 Volt an der Konzessionspflicht zu unterwerfen. Mit diesen Ergebnissen ist aber die Frage bei weitem noch nicht erledigt und es wird weitern Tierversuchen vorbehalten bleiben, größere Sicherheit zu schaffen. Jedenfalls ergibt sich schon jetzt, daß oberirdische Leitungen für Ströme von stärkerer Spannung in Städten nur ausnahmsweise und dann unter Beobachtung ganz besonderer Vorsichtsmaßregeln zulässig sind. Wenn beide Leiter durch sorgfältige Befestigung vollkommen isoliert und so weit voneinander entfernt sind, daß gleichzeitige Berührung sicher ausgeschlossen ist, so ist immerhin die Unfallgefahr auf ein Minimum reduziert. Im allgemeinen ist unterirdische Leitung vorzuziehen, und zwar sollten nur Kabel mit fester Eisenumhüllung oder Kanäle aus Mauerwerk, Beton oder Gußeisen, in denen die Drähte als Luftleitungen ausgespannt sind, verwendet werden. Die Leitungen zu den Straßenlampen führt man zweckmäßig innerhalb der Kandelaber aufwärts. Transformatoren sind von den Gebäuden fern zu halten und etwa vor denselben in gut gesicherten Hohlräumen unter dem Bürgersteig anzubringen. Das Durchschlagen zwischen primärer und sekundärer Leitung und damit der Eintritt hoher Spannungen in bewohnte Räume ist durch sorgfältige Arbeit und gewissenhafte Kontrolle zu verhüten. Alle in Wohnungen eingeführte Leitungen sind durch Isoliermaterial von oben angegebener Beschaffenheit zu schützen. Niemals dürfen elektrische Leitungen an Gas-, Wasser- oder sonstige Leitungen angeschlossen werden. Leitungen für hohe Spannungen müssen so verlegt werden, daß Berührung von unberufener Hand ausgeschlossen ist, namentlich müssen positive und negative Leitung so weit voneinander entfernt liegen, daß gleichzeitige Berührung beider unmöglich ist. Für Ströme bis zu 10,000 Volt hat man in England konzentrische Kabel konstruiert, bei denen der gut isolierte positive Leiter in dem röhrenförmigen negativen Leiter liegt. Zweifellos kann bei elektrischen Leitungen, auch bei solchen von hoher Spannung, die Gefahr vermieden werden, und in der Regel werden, wenigstens bei uns, die Unternehmer das Ihrige thun, um möglichste Sicherheit zu schaffen. Gleichwohl erscheint eine gesetzliche Regelung der Verhältnisse, auf welche bis jetzt nur die gewöhnlichen Normen der Gewerbeordnung Anwendung finden, durchaus geboten. Italien besitzt bereits eine brauchbare Gesetzgebung, und Frankreich hat vor einigen Jahren eine Enquete unternommen, welche wichtige Anhaltspunkte beigebracht hat.

Wo die Elektrizität zum Löten und Schweißen benutzt wird, entwickelt sich ein Licht von so außerordentlicher Intensität, daß bei den Arbeitern, welche demselben ausgesetzt sind, Erscheinungen wie bei der Verbrennung der Haut durch Sonnenlicht und wie beim Sonnenstich vorkommen, wenn nicht ganz besondere

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18. Bibliographisches Institut, Leipzig 1891, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b18_s0254.jpg&oldid=- (Version vom 4.3.2021)