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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18

Ländern, z. B. Deutschland, Frankreich und Österreich, entschlossen, eine Reihe von ältern Stadtumwallungen einzuebnen und dadurch zugleich die volkswirtschaftlichen Interessen mehr, als bisher geschehen, zu fordern (z. B. Danzig, Magdeburg, Koblenz und ein Teil der im Norden Frankreichs liegenden Plätze). Wenn man aber auf Grund vorstehender Anschauungen folgern wollte, daß damit der Wert der Festungen ganz allgemein gesunken sei, so erscheint eine solche Folgerung hinfällig. Es ist nur durchaus erforderlich, daß die Linien des Verteidigers von stark bevölkerten und eng gebauten Stadtteilen ganz oder doch so weit, wie dies irgend statthaft erscheint, getrennt werden, und daß man also zu dem System der sogen. Militärfestungen übergeht. Da aber an strategisch wichtigen Punkten meistens schon größere Städte liegen, welche mit Flußübergängen, Eisenbahnen- und Straßennetzen in reichhaltigstem Maße ausgestattet sind, durch welche Anlagen gerade die strategische Lage eine bedeutend größere Wichtigkeit erhält, so bleibt nichts andres übrig, als die moderne Befestigung diesen Verhältnissen nach Möglichkeit anzupassen, d. h. die Befestigungsanlagen so weit vorzuschieben, daß der Kampf von den Einwohnern der betreffenden Städte und ihrer größern Vororte möglichst fern gehalten wird. Dies schließt nicht aus, daß unter besondern Verhältnissen eine leichte Umwallung des Kerns der Stadt oder besser noch die Anlage von einigen citadellenartigen Werken von Vorteil sein kann, notwendig erscheinen derartige innere Linien im allgemeinen aber nicht. Da man nun aber bei sehr weitem Vorschieben des Fortsgürtels eine zu ausgedehnte und daher an einem Punkte verhältnismäßig leicht zu durchbrechende Verteidigungslinie schaffen würde, so gehen die Ansichten neuerdings vielfach dahin, daß man statt eines zusammenhängenden Fortsgürtels (bei welchem die einzelnen größern oder kleinern Werke durchschnittlich etwa 1000–1500 m voneinander entfernt liegen) einzelne weit vorgeschobene, nach allen Seiten hin Front machende, aus etwa 3–5 größern Werken bestehende Befestigungsgruppen errichten soll, deren bis zu 5000 m und darüber messende Zwischenräume im Kriegsfall durch provisorische Anlagen zu schließen sein würden. Auf diese Weise erhält man also reine Militärfestungen, ähnlich den in den letzten Jahren so viel besprochenen, namentlich in Frankreich zur Geltung gekommenen Sperrforts.

Um einen Anhaltspunkt für die in verschiedenen Staaten neuerdings zur Geltung gekommenen Grundsätze für die Landesverteidigung zu gewinnen, wollen wir im nachstehenden einige Beispiele neuerrichteter oder in der Ausführung begriffener Festungsanlagen anführen, wobei wir zu besserer Orientierung auf unsere Karte verweisen. Als großartigstes Beispiel, in welcher Weise ein starkes Reich für die Verteidigung seiner Landesgrenzen Sorge getragen hat, kann die Befestigung der östlichen Grenzlande Frankreichs von der belgisch-luxemburgischen bis zur Schweizer Grenze dienen, mit Paris, dem größten Waffenplatz der Welt, im Rücken. Die Grenzlinie läuft in ihrem nördlichen Teile von Luxemburg bis zum Kamm der Vogesen quer über das Plateau von Lothringen und über die Mosel hinweg; der südliche Teil folgt dem Gebirgskamm und springt dann über die Trouée de Belfort zur Schweizer Grenze über. Den nächsten bedeutendern Abschnitt hinter der Grenze bildet im Norden die Maas, im Süden der Oberlauf der Mosel. Beide Flüsse nähern sich einander bei Toul auf etwa 12 km. Dieser Linie entlang ist nun eine moderne chinesische Mauer erbaut, bestehend aus den durch einzelne Sperrforts verbundenen, je 70 km voneinander entfernten verschanzten Lagern von Verdun, Toul, Epinal und Belfort. Nur im Norden befindet sich zwischen Verdun und Montmédy eine Lücke von 36 km und in der Mitte zwischen Epinal und Pont St.-Vincent eine solche von 50 km. Man nimmt allgemein an, daß die französischen Armeen durch diese Lücken hindurch zur Offensive übergehen wollen. Verdun hat 11 detachierte Forts mit einer Citadelle; der Umfang des Fortsgürtels beträgt 38 km (ist also größer als der Metzer Fortsgürtel). Toul ist durch 10, einen 40 km messenden Gürtel bildende Werke gedeckt, wozu noch die als Citadelle dienende starke Befestigung des Mont St.-Michel tritt. Epinal (ohne Hauptumwallung) zählt 8 Forts bei 40 km Umfang. Belfort besitzt 6 neue, weit vorgeschobene Forts (darunter die bekannten beiden Perches) bei 35 km Umfang. Als nördlichste Glieder der befestigten Grenze dienen Montmédy und Longwy; zwischen Verdun und Toul liegen an der Maas die selbständigen Sperrforts Génicourt, Troyon, St.-Mihiel, Lionville und Gironville, während die obere Maas durch die Forts Pagny la Blanche Côte und Bourlémont gesperrt wird, wozu dann noch die Forts Pont St.-Vincent, Frouard und Manouvillers treten. Südlich von Epinal sind die obern Moselforts Arches, Remiremont, Rupt und Château-Lambert sowie das Fort Ballon de Servance erbaut, welches die große Straße Epinal-Belfort sperren soll. Zur Schließung des Thores zwischen den Vogesen und dem Jura dienen außer Belfort die Befestigungen von Giromagny und Montbeliard nebst den Werken von La Chaux und Montbart, während die Jurapässe längs der Schweizer Grenze durch die Forts bei Blamont, Morteau, Pontarlier, Rousses und Ecluse geschlossen sind. Fast alle diese Namen sind aus den verschiedenen deutsch-französischen Kriegen bereits bekannt. Vgl. beifolgende Karte.

In zweiter Linie hinter dieser ausgedehnten Fronte liegen die starken verschanzten Lager von Reims (64 km Umfang ohne Hauptumwallung) und La Fère-Laon, letzteres im ganzen 15 Forts zählend, welche nach Osten zu durch die selbständigen Werke Malmaison und Condé gedeckt werden, so daß La Fère, Laon und Condé sur Aisne eine großartige Gruppenbefestigung bilden. Im Süden liegen die verschanzten Lager von Langres (60 km Umfang), Besançon (37 km Umfang) und Dijon, dessen Fortsgürtel 45 km mißt. Die fünf Plätze Epinal, Belfort, Langres, Besançon und Dijon bilden ein Festungsfünfeck, welches dem ganzen südöstlichen Kriegsschauplatz den Charakter eines einzigen verschanzten Lagers gibt mit dem großen Waffenplatz Lyon als Hintergrund.

Die Krönung des französischen Landesbefestigungssystems bildet nun Paris, dessen eine Verteidigungsfronte von etwa 125 km, also gegen 17 deutsche Meilen, bietende äußere Linie durch vier Gruppen, das nördliche, östliche, südliche und westliche verschanzte Lager, gebildet wird. Das sich von der Seine am Walde von St.-Germain bis zum Canal de l’Ourcq erstreckende nördliche Lager soll die Stadt St.-Denis und die Operationen des der Besatzung angehörenden mobilen Armeekorps in der Richtung auf Pontoise decken. Es wird aus 7 neuen Forts gebildet, welche von der Pariser Hauptumwallung 12 km und von St.-Denis 7 km entfernt liegen. Dazu treten 10 neue Batterien und 4 ältere Forts. Zur Verteidigung

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18. Bibliographisches Institut, Leipzig 1891, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b18_s0292.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)