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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18

wurden. Hierbei sonderte sich der Saft der Tiere ab, deren eingeschrumpfte Fleischteile dann mit einem Siebe aus der Farbenbrühe herausgeholt wurden. In den heißen Saft wurden die zu färbenden Fasern eingetaucht, herausgehoben und an der Sonne getrocknet, wobei sich die Farbe (durch Oxydation an der Luft) entwickelte. Der Saft selbst erschien bald blau, bald gelb, bald rot, d. h. er schimmerte an der Oberfläche wie eine Indigküpe in verschiedenen Farben. Der blaue lichtbeständige Farbstoff der Purpurschnecken, welcher den Purpurgewändern ihren hauptsächlichsten Wert gab, scheint unserm Indigo sehr ähnlich, vielleicht mit demselben identisch gewesen zu sein. A. und G. de Negri gewannen aus italienischen Purpurschnecken einen Farbstoff, den sie von Indigo nicht unterscheiden konnten, und der Chemiker Bizio fand in einem Gewandstück des heil. Ambrosius, in dessen Tagen alle liturgischen Gewänder vorschriftsmäßig mit Purpur gefärbt wurden, unzweifelhaft Indigo. Der vergänglichere rote Buccinum-Farbstoff, mit welchem man die Grundfarbe ins Violette zog, war längst ausgeblaßt, während der echte Indigo die Reihe der seitdem verflossenen Jahrhunderte unzersetzt überstanden hatte. Die Spärlichkeit des aus den Schnecken gewonnenen Farbstoffes und das Geheimnis der Erzielung besonders schöner Nüancen erklärt die ungeheuern Preise, die man ehemals für die den obersten Ständen, zeitweise den Herrschern allein erlaubten Purpurstoffe zahlte. Ein Pfund echt tyrischer Purpurwolle wurde in Rom zeitweise mit 1000 Denaren (ca. 300 Mk.), ein Pfund tyrischer Purpurseide in den Tagen Diokletians mit 15,000 Denaren (ca. 4500 Mk.) bezahlt.

Putlitz, Gustav Heinrich Gans, Edler Herr von und zu, Dichter, starb 5. Sept. 1890 in Retzin bei Perleberg.

Pyoktanīn. Anilinfarbstoffe wirken auf Bakterien in der Art, daß sie dieselben töten oder doch ihre Entwickelung hemmen. Hiervon hat Stilling für chirurgische Zwecke Gebrauch gemacht, indem er zwei Anilinfarbstoffe, einen blauen und einen gelben, unter dem Namen P. zur Behandlung von Wunden benutzte. Diese Präparate halten nicht nur die schädlichen Wirkungen krankheiterregender Stoffe fern, sondern vermögen auch, was bisher so gut wie unmöglich war, schon bestehende Entzündungen, vor allem aber Wund- und Geschwürseiterungen, zu heilen. Das P. ist gänzlich ungiftig und geruchlos, das starke Färbevermögen erleichtert die Kontrolle der Applikationsstelle. Dem Sublimat zeigt sich das P. in Bezug auf seine bakterientötende Wirkung am lebenden Organismus weit überlegen. Das blaue Präparat wird hauptsächlich für chirurgische, das gelbe für augenärztliche Zwecke angewandt. Vgl. Stilling, Anilinfarbstoffe als Antiseptika und ihre Anwendung (Stuttg. 1890).

Pyrogranīt, künstlicher Stein aus Thon, den Kristoffowitsch in Petersburg in der Weise herstellt, daß er leicht schmelzbaren Thon brennt, pulvert, mit rohem, schwer schmelzbarem mischt, bei mäßiger Anfeuchtung mit Wasserdampf unter hohem Druck in Formen preßt und brennt. Der P. hat steinartiges Ansehen, ist wie Granit politurfähig, wird auch durch Mischen farbig gebrannter Thone gemustert hergestellt und ist dann dem Stuckmarmor ähnlich, aber natürlich viel haltbarer als dieser. Die Festigkeit des Pyrogranits ist eine sehr bedeutende. Er ist etwa um 0,25 teurer als gute Verblender und eignet sich vortrefflich zur Bekleidung von Wänden, auch als Pflaster.

Pyrographie (Pyrotypie), s. Holzverzierungen, S. 432.

Pyromagnetische Maschinen, Motoren, welche sich darauf gründen, daß die Permeabilität des Eisens und andrer Substanzen, d. h. die Leitungsfähigkeit derselben für die magnetischen Kraftlinien, mit steigender Temperatur abnimmt. Die Permeabilität des Eisens bleibt zwischen 0 und 330° unverändert, erleidet aber bei höhern Temperaturen eine beträchtliche Verminderung. Bei Nickel wächst die Gesamtmagnetisierung zunächst bis etwa 200°, wird dann geringer und verschwindet bei 340°. Wird um einen weichen Eisenstab eine Drahtspirale geführt und befindet sich das System in einem magnetischen Felde, so verändert sich beim Erwärmen des Eisens die Zahl der durch das Eisen gehenden Kraftlinien und in der Drahtspirale wird ein elektrischer Strom induziert; bei Abkühlung entsteht ein Strom von entgegengesetzter Richtung. Schwedoff konstruierte 1886 einen pyromagnetischen Motor, bei welchem einem Eisenring, der um eine durch seinen Mittelpunkt gehende vertikale Achse drehbar war, von der Seite ein Magnetpol genähert ward. Wurde die eine Ringhälfte erwärmt, so begann der Ring zu rotieren, da die jeweilig erwärmten Teile desselben durch den Magnetpol nicht beeinflußt werden, während die kältern Teile des Ringes magnetisiert und angezogen werden. Die praktische Schwierigkeit liegt hier darin, das Eisen schnell genug auf Rotglut zu erhitzen. Nickel würde sich nach den obigen Angaben vorteilhafter erweisen. Bei Edisons 1887 konstruiertem Motor wird ein liegender Elektromagnet durch eine besondere Stromquelle erregt. In seinem magnetischen Felde ist um eine vertikale Achse eine Armatur drehbar, welche aus einem System dünnwandiger Eisenröhren besteht. Diese Röhren sind oben und unten durch Blechscheiben verbunden. Das System ist über einem Ofen angebracht, so daß die aufsteigenden Feuerungsgase die Röhren bis zur Rotglut erhitzen. Die zur Verbrennung des Feuerungsmaterials erforderliche Luft steigt in der Mitte der Armatur durch ein Rohr nieder. Um nun die eine Hälfte des Röhrensystems zu erhitzen, die andre abzukühlen, ist ein Schirm nahezu diametral durch den Röhrenkörper gestellt. Infolge dieser nicht vollkommen symmetrischen Stellung des Schirms entsteht eine Drehung, da die kühlern Eisenmassen stärker von dem ihnen zunächst gelegenen Magnetpol angezogen werden als die wärmern von dem entgegengesetzten Pole. Ein Motor dieser Art, der mit zwei Bunsenschen Brennern geheizt wurde, lieferte eine Arbeitsleistung von 1,67 Meterkilogramm in der Sekunde. Da die Erwärmung und Abkühlung der Eisenkerne langsamer erfolgt als die Magnetisierung und Entmagnetisierung bei den Dynamomaschinen, so ist die in der Zeiteinheit zu erzielende Zahl der Umdrehungen der Armatur eine beschränktere. Wie jeder elektrische Motor, ist auch die pyromagnetische Maschine reversibel, durch geeignete Anordnung der einzelnen Organe kann aus dem Motor ein Stromerzeuger gemacht werden. Solche thermomagnetische Stromgeneratoren würden bei gleicher Leistung viel schwerer ausfallen als Dynamomaschinen; eine vierpferdige pyromagnetische Maschine würde ein Gewicht von 2–3 Ton. erreichen. Haben diese Maschinen zunächst auch noch keinen praktischen Wert, so ist doch der denselben zu Grunde liegende Gedanke originell und birgt vielleicht Keime weiterer Entwickelung.

Pyromēter, Brennkegel, s. Thonwaren.




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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18. Bibliographisches Institut, Leipzig 1891, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b18_s0771.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2021)