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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19

Ornamentik beschnitt und dafür die Typen der reinen Antike einsetzte, verlieh der Kunst einen neuen, eignen Charakter voll wunderbarer Grazie, Zierlichkeit, Anmut, Leichtigkeit und lachenden Lebens. Ihr Schwerpunkt liegt besonders in der Ausschmückung der Wandfelder, Medaillons und Friese. In den anmutig komponierten Arabesken der Felder bilden sich im weitern Verlauf der Linien: Masken, Engel, menschliche Figuren, Amoretten, Delphine, Schwäne, Kraniche, Reiher, Pfauen in allen möglichen Stellungen und Lagen (Taf. IV, Fig. 22). Nicht selten werden diese selber zum Ausgangs-, Mittel- oder Schlußmotiv der Kunstschöpfung (Taf. III, Fig. 3, 6). Die dünnen Ständer der Fruchttischchen, die reizenden Kandelaber mit ihren Fruchtschalen und Medaillons enden mit Vogelköpfen, Tigertatzen oder scheinen aus einem Blätterstrauß hervorzuwachsen (Taf. III, Fig. 6, 8, 25, 26). Die wiegenden Ziergehänge (Taf. IV, Fig. 28), die Füllhörner (Taf. III, Fig. 14), Opferbecken, Opferaltäre, Malereien und Skulpturen haben die Repräsentanten der Ornamentenflora des Mittelalters durch eine Menge von Früchten und Blüten, Äpfeln, Birnen, Feigen, Kirschen (Taf. III, Fig. 2), Melonen, Eicheln, Zitronen, Apfelsinen, Glockenblumen, Fliederblüten, Artischocken, Johannisbeeren, Kornraden, Ähren, Kornblumen (Taf. IV, Fig. 12) u. dgl. vermehrt, und auch Akanthus und Lotos kommen wieder in phantasiereicher Weise im edel und antik gehaltenen Stile in schmiegsam und vortrefflich gezeichneten Rankenzügen, die gewöhnlich mit einer Rosette abschließen, oder als Strauß oder Blüte in dominierender Weise zur Geltung (Taf. III, Fig. 11, 23, 26). Doch schon im 17. Jahrh. verlieren sich die reinen antik-modernen Formen unter dem üppig aufschießenden und schnell um sich wuchernden Unkraut von Schnörkelschwall und Ornamentenfülle; namentlich werden die ornamentalen Ziergehänge, in die sich alle möglichen und unmöglichen Gegenstände in häßlicher Weise eindrängen, überladen und erscheinen schwer, starr und bewegungslos, und das O. der Rokokozeit offenbart zum großen Teil eine ungeheuerliche Verschrobenheit des Geschmackes (Taf. IV, Fig. 16, 17, 19–21). Zwar ist die Kunst der Neuzeit von den stagnierenden Elementen und das künstlerische Streben von seinem Zopf befreit, aber einen einheitlichen Stil besitzen wir zur Stunde noch nicht, und die Architektur und Ornamentik erscheint als ein Gemisch der verschiedensten Elemente vorübergegangener Stilperioden; doch darf man im allgemeinen behaupten, daß unsre Kunst vorherrschend im edlen Stile der Renaissance arbeitet, und wie das gesamte Kunst- und Geistesleben der Neuzeit dem gewaltigen Zuge des Realismus folgt, so steht auch die Ornamentik, die des Gediegenen, Anmutigen und Schönen gar viel bietet, unter seinem bindenden Einfluß. Die in dem O. der Neuzeit verwerteten Pflanzenformen sind von stark naturalistischer Färbung, daß es bei einigem botanischen Wissen leicht ist, die ihm zu Grunde liegenden Blatt-, Blüten- und Fruchtformen, unter denen Akanthus, Zaunrübe, Eiche, Weinrebe, Akazie, Distel und Winde vorherrschen, herauszufinden.

Vgl. Statz und Ungewitter, Gotisches Musterbuch (Leipz. 1856–61); Heideloff, Ornamentik des Mittelalters (Nürnb. 1851–52); Woenig, Pflanzenformen im Dienste der bildenden Künste (Leipz. 1881); Opderbecke, Bauformen des Mittelalters (2. Aufl., Weimar 1885); Hölder, Pflanzenstudien und ihre Anwendung im O., Handarbeit (Stuttg. 1834, 60 Tafeln); Picard, L’ornement végétal (deutsch, Berl. 1887); Schubert v. Soldern, Das Stilisieren der Pflanzen (Zür. 1888); Gerlach, Die Pflanze in Kunst und Gewerbe (Wien 1886–89, 200 Tafeln); Hofmann, Blätter u. Blumen für Flächendekoration (Leipz. 1886, 30 Tafeln).

Osazone und Osone, s. Kohlehydrate.

Os bregmatium, s. Schaltknochen.

Oser, Friedrich, Dichter (Bd. 17), starb Mitte Dezember 1891 in Benken in Baselland.

Osterfeuer, s. Sonnenfestfeuer.

Österley, 1) Karl, Maler, starb 28. März 1891 in Hannover.

Österreich, Kaisertum. Nach den endgültigen Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dez. 1890 betrug die ortsanwesende Bevölkerung Österreichs 23,895,413 Bewohner und hat sich seit 1880 um 7,9 Proz. vermehrt. Städte mit eignem Statut:

Einw.
Wien 1364548
Prag 183085
Lemberg 127638
Triest 121976
Graz 112771
Brünn 94753
Krakau 75514
Czernowitz 54040
Linz 47276
Reichenberg 30890
Laibach 30505
Salzburg 27609
Wiener-Neustadt 25146
Iglau 23716
Innsbruck 23325
Görz 21888
Troppau 21676
Einw.
Trient 21571
Steyr 21504
Olmütz 19840
Klagenfurt 19799
Marburg 19798
Znaim 14515
Bielitz 14499
Kremsier 12516
Bozen 11655
Rovigno 9526
Roveredo 9030
Friedek 7370
Cilli 6228
Ungarisch-Hradisch 3939
Pettau 3924
Waidhofen an der Ybbs 3665

Von den Städten ohne eignes Statut zählten über 30,000 Einw.: Pilsen 50,221, Przemysl 35,209, Pola 31,623, Kolomea 30,235 Einw.

Nicht in gleichem Maße wie die Bevölkerung hat die Zahl der Wohngebäude u. Haushaltungen zugenommen; erstere ist von 3,147,902 im J. 1880 auf 3,339,750 im J. 1890, also um 6,1 Proz., letztere von 4,760,538 im J. 1880 auf 5,029,919 im J. 1890, also um 5,65 Proz. angewachsen. Nach dem Geschlecht waren 11,689,129 männliche und 12,206,284 weibliche Personen, so daß auf 1000 erstere 1044 letztere Personen kamen. Nach der Staatsangehörigkeit waren von der ortsanwesenden Bevölkerung 23,477,069 im Inlande, 227,789 in Ungarn, 1470 in Bosnien-Herzegowina und 189,085 im übrigen Ausland heimatsberechtigt. Nach der Umgangssprache waren unter der anwesenden einheimischen Bevölkerung 8,461,997 Deutsche, 5,473,578 Tschechen, 3,726,827 Polen, 3,101,497 Ruthenen, 1,176,535 Slowenen, 644,769 Serbo-Kroaten, 674,701 Italiener, 209,026 Rumänen, 8139 Magyaren. Von je 1000 Personen gaben bei den beiden letzten Zählungen als Umgangssprache an:

1880 1890
Deutsch 367,5 360,4
Tschechisch 237,7 233,2
Polnisch 148,6 158,7
Ruthenisch 128,0 132,1
Slowenisch 52,3 50,1
Serbisch-Kroatisch 25,9 27,5
Italienisch 30,7 28,7
Rumänisch 8,8 8,9
Magyarisch 0,5 0,4

Hiernach haben die polnische, ruthenische, serbisch-kroatische und rumänische Sprache ihr Herrschaftsgebiet den andern Sprachen gegenüber erweitert. In Bezug auf den Familienstand gliederte sich die Bevölkerung in 14,516,969 ledige, 8,021,366 verheiratete, 1,337,560 verwitwete u. 19,518 geschiedene Personen; hinsichtlich der Konfession in 18,934,166 römisch-katholische,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19. Bibliographisches Institut, Leipzig 1892, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b19_s0705.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2021)